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Einundzwanzigster Juli

Titel: Einundzwanzigster Juli Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ravensburger
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Angst. Man kann wieder ganz gefahrlos mit mir verkehren. Die Gleichstellung ist erfolgt, ich gelte nicht mehr als Jüdin.«
    Nicht einmal dieser Anflug von Spott bringt mir die Sprache zurück. Sag was, sag doch was! Doch außer diesem Befehl ist mein Kopf wie leer gefegt.
    »Du musst nichts sagen«, meint Lexi beinahe tröstend. »Tut mir leid, dass ich dich schockiert habe. Ich hoffe nur, es macht keinen Unterschied und ich bin noch dieselbe wie vor einer Minute.«
    Sie legt mir flüchtig die Hand auf die Schulter und geht über die Wiese davon, aufs Tor zu, durchs Tor hinaus.
    Sag was! Steh nicht so herum! Lauf hinterher!
    Umsonst. Wie immer, wenn es darauf ankommt, hält Fritzi Bredemer den Mund, friert Fritzi Bredemer am Boden fest.
    Meine Mutter hilft Leuten, die Juden vor der Deportation verstecken. Ihre Sache! Das geht mich nichts an! Das wird mich erst etwas angehen, wenn es je herauskommen sollte, wenn sie bestraft wird um fremder Leute willen, mit denen wir nicht das Geringste zu tun haben.
    Ich glaube, ich habe ihr deutlich genug gemacht, wie ich darüber denke!
    Und Lexi? Ich kann es nicht fassen: Mutter hat nicht ein Wort gesagt! Nicht der kleinste Hinweis darauf, dass wir auch in unserer eigenen Familie ein Problem haben. Mir wird eiskalt bei der Vorstellung, die Oschgauer Mädelschar hätte davon erfahren: Die ganze Zeit war ich jüdisch versippt , ohne es auch nur zu ahnen!
    Was hätte ich eben dazu sagen sollen? Etwa: Das kann doch jedem passieren ...?
    Mischling ersten Grades – das bedeutet, dass zwei Großeltern von Lexi jüdisch sind. An die Schautafeln in der Schule erinnere ich mich ganz genau. Halbjuden, Viertel- und Achteljuden habe ichsauber und ohne einen einzigen Fehler in mein Heft übertragen, liebevoll an Frau Wahls Küchentisch die geviertelten und geachtelten Kreise ausgemalt. Ich habe eine Eins mit Sternchen bekommen für eine besonders sorgfältige Arbeit!
    »Die Juden werden gesammelt.« Ellens Stimme klingt mir noch im Ohr. »Vorübergehend ist im Osten Platz, und sobald der Krieg vorbei ist, erhalten sie ein eigenes Land.«
    »Und wo ...?«
    »Du liebe Zeit – morgen gehört uns die ganze Welt! Da wird sich schon ein Fleckchen finden, das wir nicht mehr brauchen.«
    Vielleicht haben die beiden deshalb keine Kinder. Die ganzen Jahre müssen sie damit gerechnet haben, dass es womöglich doch noch passiert: Lexi muss in den Osten! Halbjuden sind vom Transport zurückgestellt, aber verlassen können sie sich darauf nicht.
    »Die Juden hauen vielleicht freiwillig ab, wenn sie ihren Besitz mitnehmen dürfen!«
    Wie verächtlich Ellen mich ansah, nachdem ich diese Bemerkung gemacht hatte! Eisig antwortete sie: »Die Juden haben ihren Besitz auf Kosten des deutschen Volkes erworben. Wir holen uns nur zurück, was uns gehört.«
    Die Juden! Eine bedrohliche Masse! Hitler und Goebbels brüllen vor Wut, wenn sie über die Juden sprechen, die uns seit Jahrhunderten Schaden zufügen, aber im Volk wird über sie lieber geflüstert. Wahrscheinlich weil es so schrecklich peinlich ist: So weit hat man es mit ihnen kommen lassen, dass man ihrer nicht anders Herr wird als durch Abschiebung!
    Die Juden! Unser ehemaliger Gemüsehändler, unser früherer Zahnarzt ... schon mit acht oder neun, als erst der eine, dann der andere gehen musste, habe ich gespürt, dass es klüger ist, die Juden zu denken und nicht Herr Blau oder Dr. Menzel.
    Dumm nur: Ich starre auf das Tor, durch das Lexi verschwunden ist, und auf einmal bekommen beide wieder ein Gesicht.
    »Nanu, Fritzi, wolltest du nicht mit Lexi zu Ypsens ?«
    Tante Ina und Tante Nelly schauen mich fragend an. Sie sind zu zweit über den Rasen gekommen, als trauten sie sich nicht mehr alleine. Sprengstoff! Man weiß ja nie.
    »Ich gehe gleich«, behaupte ich. »Ich will nur vorher noch einmal versuchen, Mutter zu erreichen. Bis ich von Ypsens zurückkomme, ist sie bestimmt wieder im Keller.«
    »Tu das!«, antwortet Ina herzlich. »Almut wird so froh sein, dass das alles hinter dir liegt!«
    »Ja, glaubst du denn, hier hätten wir Frieden ...?«, erwidert Nelly mit einem Anflug von Bitterkeit. »Es ist ruhig, mehr nicht! Zu ruhig, wenn du mich fragst.«
    Ina schüttelt unbehaglich den Kopf. »Du immer mit deinen Ahnungen!«
    Das Freizeichen tutet weiter, nachdem ich längst aufgelegt habe. Es hinterlässt sein Echo in meinem Ohr.
    Wenn Mutter nicht bald ans Telefon geht, fliege ich morgen mit Lexi zurück.
    Zwei Frauen grüßen mich auf dem Weg

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