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Einundzwanzigster Juli

Titel: Einundzwanzigster Juli Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ravensburger
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obwohl sie es mir versprochen hatten«, schreibt sie. »Magst du das für mich tun?«
    Mit dem Brief wedelnd suche ich meinen verblüfften Onkel, schlinge vor aller Augen die Arme um seinen Hals und gebe ihm genüsslich seinen Kuss. Seitdem fragt er mich manchmal augenzwinkernd, ob ich nicht wieder einen Auftrag von Lexi habe.
    Dass ich aus Oschgau weggegangen bin, war gut. Ich kann nichts von dem zurücknehmen, was passiert ist, aber ich bin nicht mehr auf dem falschen Weg.
     
    »Fritzi, wach auf! Da stimmt etwas nicht!«
    Mutters aufgeregtes Flüstern schreckt mich aus dem Schlaf. Sie sitzt aufrecht im Bett und lauscht, durch einen Spalt im Vorhang fallen die ersten morgendlichen Sonnenstrahlen und im Flur wird gebellt.
    Zumindest glaube ich es sekundenlang, bevor ich Stimmen erkenne, und die knappen, scharfen Befehle. An jede Tür hämmern sie: »Aufstehen! Fertig machen zum Transport!«
    Wir sehen uns an, stumm, ungläubig, mit offenem Mund. Die Schläge aus dem Flur fahren so tief in mich, dass ich wie festgenagelt liegen bleibe. Mutter ist die Erste, die aus dem Bett springt. »Die Koffer! Beeil dich!«
    Endlich fliege ich aus dem Bett, reiße meinen Koffer vom Schrank. Nun sind sie auch bei uns, trommeln und rufen mit fremden Stimmen.
    »Das ist nicht unsere Wachmannschaft!«, flüstere ich Mutter zu.
    »Großer Gott, großer Gott, großer Gott«, wispert sie und stopft mit zitternden Händen Kleidung in ihren Koffer, und ich sehe sie weiter die Lippen bewegen, während ihre Worte schon untergehen im Poltern der Stiefel auf der Treppe.
    Vor dem Hotel warten zwei Lastwagen, die mit dunklen Planen verhängt sind; ein halbes Dutzend SS-Wachen steht mit Maschinenpistolen im Anschlag, als müssten sie die LKW vor uns verteidigen. »Rauf!«, sagt einer und schlägt die Plane zurück.
    Niemand bewegt sich. »Hören Sie«, sagt Onkel Teddy ganz ruhig, »so können Sie mit kranken und alten Leuten nicht umgehen! «
    »Wird’s bald!«, schreit der Mann an der Plane.
    Sie sehen sich alle ähnlich!, durchfährt es mich. Frisur, Haltung, Uniform, die eckigen Gesichter, die zornigen kleinen Augen ...
    Onkel Teddy sagt nichts mehr. Er und Max helfen uns auf den Lastwagen und finden zusammen mit dem Gepäck nur noch im zweiten Wagen Platz. Die Plane wird heruntergelassen und festgezurrt. Im Halbdunkel hocken wir auf dem Boden und ich muss an Fliegerangriffe denken, an die Lehrter Straße und den dritten Stock, doch ich höre keinen einzigen Laut, bis der Motor angelassen wird und wir langsam losrumpeln. Erst jetzt beginnt jemand leise zu weinen, doch ich kann nicht erkennen, wer es ist, und bis wir am Bahnhof eintreffen, hat sich diejenige wieder gefasst.
    Wer sieht uns aussteigen? Bewegt sich nirgends eine Gardine? Der Zug wartet schon; wir schleppen unser Gepäck zwischen zwei Reihen Soldaten hindurch, die schweigend ihre Pistolen auf uns richten. Die Koffer müssen wir neben dem Zug stehen lassen, dann drängt man uns in ein einziges Abteil, obwohl der Rest des Waggons leer ist. Ein Versuch, uns umzusetzen, wird sofort unterbunden.
    »Wie lächerlich!«, flüstert Fey. »Habt ihr mal gezählt? Es sind einundzwanzig Wachposten, auf jeden von uns kommt einer. Womit rechnen sie?«
    »Nahkampf«, meint Max, bewegungslos eingeklemmt zwischen Julius und Tante Sofie, und erntet nervöses Kichern.
    Ich selbst wäre bis zu diesem Augenblick nicht auf den Gedanken gekommen, unsere Lage lächerlich zu finden, doch dass einige sie von der komischen Seite nehmen, macht Mut. Draußen koppeln sie einen weiteren Wagen für unser Gepäck an, in dem auch die Militäreskorte Platz nimmt. Nur zwei Posten steigen bei uns ein. Keine SS mehr, immerhin.
    »Wohin geht’s denn?«, fragt Onkel Teddy verbindlich.
    Die Antwort des Soldaten folgt prompt: »Einfach Maul halten und abwarten.«
     
    Wenigstens Holz haben sie uns hingeworfen, damit wir den winzigen Ofen befeuern können, und das matte Glühbirnchen an der Decke der Baracke spendet ein wenig Licht. Sobald von außen der Schlüssel im Schloss gedreht wird und die Schritte des wachhabenden Soldaten sich entfernen, setzt ein, was ich schon bestens kenne: das große gleichzeitige Reden, Mutmaßen und Rätselraten.
    Bahnhof Breslau! Sie fahren uns hinter die Front!
    Hier wartet bestimmt kein Hotel.
    Wenn wir den Russen in die Hände fallen, kommen wir alle nach Sibirien!
    Himmel, hoffentlich wird es kein KZ.
    Von draußen dringt gedämpft das Poltern und Scharren von Stiefeln herein, rufende

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