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Einundzwanzigster Juli

Titel: Einundzwanzigster Juli Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ravensburger
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Oberleutnant der Artillerie von Lautlitz hervor, zweimal verwundet und zurück in den Kampf geworfen. »Der Oberst und ich sind weder eines Vergehens beschuldigt noch degradiert worden!«, donnert er zurück.
    War das Geschrei des SS-Mannes furcht einflößend, so trifft mich Max’ Attacke bis ins Mark. Seine Stimme ist fremd, voll Hass und Angriffslust, und die Hand des Kommandanten zuckt zu seiner Waffe, während sie brüllend aufeinander zutreten, reißt sich mit Gewalt wieder davon los und ballt sich zur Faust; er hat einen anderen Befehl, als einen von uns zu erschießen, aber was würde ihm schon passieren, wenn er es dennoch täte?
    Endlich geht Onkel Teddy dazwischen und hält Max zurück. Es wird still, gefährlich still, einige höre ich weinen. »Runter mit den Schulterstücken!«, knirscht der Kommandant. An seiner Schläfe tritt eine fast fingerdicke Ader hervor.
    »Das müssen Sie schon selber tun!«, entgegnet Max sofort. Am liebsten würde ich schreien: Bitte! Es ist nur ein Stück Stoff!
    Als das Unglaubliche geschieht: Der Kommandant dreht sich ohne ein weiteres Wort auf dem Absatz um und geht zum hinteren Teil des Waggons, wo er leise mit seinem Stellvertreter redet.
    Max und Onkel Teddy setzen sich. Max sieht niemanden an, sein Kiefer mahlt. Ich weiß nicht, welchen Kampf er da gerade gefochten hat, aber mit heißer Empörung weiß ich plötzlich, wie sehr ich den Krieg hasse, jede einzelne Minute dieses Krieges, und wie sehr ich hasse, was er aus den Menschen macht.
    Kurz vor dem Ziel einigen sich meine Onkel und der SS-Kommandant darauf, dass die beiden ihre Uniformen gegen Zivilkleidung tauschen. Dagegen ist offenbar nichts einzuwenden, sie stehen auf und gehen mit nach nebenan, wo sich das Gepäck befindet.
    »Nun ist alles klar«, sagt Dr. Goerdeler nüchtern. »Es geht ins KZ! Natürlich wollen sie vertuschen, dass sie Wehrmachtsoffiziere inhaftieren.«
    Der Zug hält, wir steigen – schneller! schneller! – auf einen weiteren geschlossenen Lastwagen. Wohin? Niemand braucht mehr zu fragen. Als die Plane zurückgeschlagen wird und wir abspringen, sehe ich den hohen, mit Starkstrom geladenen Stacheldrahtzaun und dass in unserem Rücken das Tor bereits geschlossen wird.
    Wir befinden uns in einem abgezäunten Hof, offenbar am Rande eines größeren Lagers, aber ein hoher Bretterzaun hinter dem Stacheldraht verhindert die Sicht hinaus. Vier Wachtürme umgeben den Hof, von denen bewaffnete Posten auf uns hinunterschauen. Im hinteren Bereich steht nahe dem Zaun eine große Baracke.
    Der Kommandant persönlich nimmt uns in Augenschein. Verblüfft sehe ich ihn näher kommen, kann den Blick nicht abwenden von seinen blütenweißen Handschuhen. Dann bleibt er vor uns stehen und begrüßt uns mit ironischem Lächeln als Gäste des Konzentrationslagers Stutthof.

E LF
    Der Ausblick von den Wachtürmen muss unterhaltsam sein. In der Mitte des Hofes steht zusammengedrängt eine graue, schmutzige, zu Tode erschöpfte Gruppe Häftlinge neben einem Berg von Gepäck. Abgestellt und mit knappen Worten sich selbst überlassen.
    »Euer Grafschaft warten wohl auf Ihren Diener!«, ruft der Posten hinten links und die anderen brechen in hämisches Keckern aus. Interessiert sehen sie zu, wie zwei Männer, die dadurch auffallen, dass sie als Einzige saubere Kleidung tragen, sich aus der Gruppe lösen und beginnen, jedem sein Gepäckstück in die Hand zu geben.
    Almut ... Frau Kuhn ... Frau Goerdeler ... Leise ruft Max uns beim Namen, während er einem nach dem anderen die Koffer reicht, obwohl der Kommandant ausdrücklich verboten hat, Nachnamen zu nennen. Und einer nach dem anderen fällt ins Leben zurück, wir sind immer noch wir selbst. Julius, Ina, Fritzi ... nie dürfen wir das vergessen.
    Die Ersten treten so vorsichtig über die Schwelle der Baracke, als warte dahinter ein schwarzes Loch, uns zu verschlingen. Doch wir stehen in einem sauberen Flur, der auf einen großen offenen Raum zuläuft und rechts und links mehrere Türen hat.
    Es ist so still, dass ich es um mich herum atmen hören kann. Jemand greift zaghaft nach dem Türgriff neben ihm, ich recke den Hals. Ein Zimmer mit Fenster zum Zaun. Spinde, zwei Doppelstockbetten aus Eisengitter. Alles nagelneu.
    Die Schritte werden schneller. Hinter jeder Tür verbirgt sich eine Überraschung: eine Küche, ein Abstellraum, eine leere Speisekammer. Ein Waschraum mit sauberen Blechwaschbecken und einerReihe offen nebeneinanderstehende Toiletten. Ein großer,

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