Einzelkaempfer
Drecksachen aus und den Overall an, passt. Während sie den Bauwagen schon verlassen hat, überlege ich, wohin ich den gestohlenen Pass stecken könnte. Nimm mit, wer weiß, ob du je wieder her findest. Kalle hat Recht, aber ...
»Wo bleibst du – Nase pudern, oder was?« Neben der Tür steht ein Paar alter grüner Gärtner-Gummi-Clogs, die sind innen etwas schlüpfrig aber besser als nix. Ich hinterlege fünf Euro und springe aus dem Bauwagen. »Aye, aye Sir – komme schon.«
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Was sie jetzt vor hat? Keine Ahnung, Herr Advokat, und ich werde den Teufel tun und sie danach fragen. Ein zaghafter Seitenblick meinerseits bestätigt die Annahme, dass Hanna nicht gewillt ist, irgendwelche Auskünfte zu erteilen. Ihr Blick ist starr nach vorn gerichtet, während die Scheinwerfer die Nacht zerteilen, ohne zu erhellen. Hier gibt es weder Straßenlampen noch reflektierende Pfosten, von weiteren Verkehrsteilnehmern ganz zu schweigen. Würde mich nicht wundern, wenn gleich aus dem Nichts ein altes Schloss hinter düstren Tannen auftauchte, Regen einsetzte und schwefeliger Bodennebel durch das gespenstische Öffnen eines eisernen Tores in Wallung geriete – Welcome to the Hotel California. Summ nicht rum, ermahnt mein Benimmaufseher-Rechtsverdreher, kurz bevor ich die Stille stören kann. Sie hat mich vergessen, völlig versunken fährt sie auf dieser Straße vom Nichts ins Nichts. Ferngesteuert zum Greifen nah. Und doch so unnahbar.
Der Ford rumpelt jetzt über Schotter, in meinem Magen rumpeln die Tabletten im Fastvakuum. Ein brummiges Knurren – lass sie nicht denken, dass ich furze – signalisiert Hunger. Phänomenal, nur Stunden zuvor dachte ich den fauligen Odem des Todes im Genick zu spüren, das war dein eigener Gestank, mischt Kalle sich ein, und nun schreit mein Organismus nach Futter. Wie unpassend, scheint ihr Gesicht auszudrücken. Vegetativ, was soll ich machen? Ebenso wie das Zucken im Augenwinkel, hey, da bist du ja wieder, habe ich derzeit herzlich wenig im Griff. Nicht ich bin der Macher, der Unternehmer, wie ich es eigentlich vor hatte mit meinem Schild: NIMM MICH MIT, sondern seit einigen Stunden wird nur noch mit mir gemacht. Ich fühle mich immer noch wie in einem Video-Clip von einem durchgeknallten Jungregisseur ›Hoffnung Hollywoods‹ auf Speed in Wechselwirkung mit Tranquilizern. Als Kind habe ich mich zu Hause immer bevormundet gefühlt, was nicht nur ein Gefühl war, ich wurde bevormundet. Sitz gerade, Mund über den Teller, es wird gegessen was auf den Tisch kommt. Hunger, ja. Bevormundung wäre falsch, Hanna bevorschaut, ein bisschen leidend vorwurfsvoll. Mama, wann sind wir endlich da ... so visiert sie mich antwortend an, als mein Magen abermals einen mürrischen Laut von sich gibt in die gespannte Ruhe, die durch den gleichmäßig, nagelnden Dieselmotor betont wird. Ja, ja, sind gleich da, lächelt sie ausnahmsweise gütig. Wo? Wo ist DA?
Sie setzt den Blinker, ich sehe nicht mal eine abzweigende Straße. Hier ist es so duster wie in einem dichten Fichtenwald um Liebenscheid bei Nacht, ohne Sternensicht. Wir begeben uns vom Holperweg auf eine geteerte Strecke. Geteert und gefedert – ein halbes Hähnchen höre ich Kalle bestellen, in meinem Mund ein Pfützchen. Wolltest du nicht Vegetarier werden, spritzt Marie ihr Gift. Galle, Leber, Fettverdauung, blöder Hunger. Sie lehnte mich am Ende rundheraus ab, meine Ex, geriet zwischenzeitlich in die Hände eines Esoterikers, verstehen Sie mich jetzt nicht falsch, mein zweiter Name könnte Toleranz lauten, aber der Eso-Guru schwärmte vom Leben durch kosmisches Licht. Gar nichts mehr essen. Also, ich fand das gefährlich und Marie hat es auch nur fünf Tage ausgehalten. Zur Einstimmung sollte sie eine Woche ohne menschlichen Kontakt jedweder Art, ohne zu essen und ohne etwas zu trinken verbringen. Dazu pendelte sie unsere Wohnung nach dem geeigneten Platz für das reinigende Ritual aus und fand ihn auf dem Dachboden. Ich trug ihr sogar die Matratze rauf, dachte, ich hätte die Lage dann wenigstens noch ein bisschen unter Kontrolle. Am fünften Tag hörte ich es scheppern, und es war nicht ihr unberührter Pisseimer, der umgefallen war, sie selbst war auf die Klappe, ihre und die des Bodens, gestürzt, völlig dehydriert und entkräftet. Am Ende war ich schuld, da der Duft von meinem frischen Apfelkuchen mit Zimt durch die Dachluke bis zu ihr gedrungen sei und ihre Ohnmacht hervorgerufen habe.
»Twee appeltaartjes en twee
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