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Einzelstücke - Möller, M: Einzelstücke

Einzelstücke - Möller, M: Einzelstücke

Titel: Einzelstücke - Möller, M: Einzelstücke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michaela Möller
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nachdem Frederik mich verlassen hatte, mit beiden zusammenWeihnachten gefeiert. Sehr bizarr und sehr aufregend. Und auch wenn man es nicht vermuten würde, eine sehr heilige Nacht.
    Während mir der Geruch von gebratener Ente in Orangensoße in Erinnerung kommt, nach dem mein Haar an Weihnachten ganze drei Tage gerochen hat, zieht Alex mich zu sich heran. Unsere Beine baumeln zwischen dem Eisengeländer des französischen Balkons, vor dem sich die Nacht ausgestreckt hat.
    »Was meinst du, wie hoch das hier wohl ist?«
    »Warum fragst du?« Alex schiebt sich eine Weintraube in den Mund.
    »Ich wollte nur wissen, ob es ausreichen würde für einen Selbstmord.«
    »Die Chancen stehen nicht schlecht. Besteht Interesse?«
    »Nicht mehr als sonst.«
    »Ha.« Alex lächelt und unterbricht unseren kleinen Spaß, indem er seinen Kopf an das Geländer lehnt und mit seinem Blick an mir herabwandert. Langsam folgt den Augen sein Zeigefinger, der kaum spürbar von meiner Scheitelspitze über meine Wangen wandert. Ich hingegen beobachte ihn. Den sanften Blick in seinen grünen Augen, die weichen braunen Haare, die perfekt sitzen, die leicht von der Sonne gebräunte Haut auf seinem langen Nasenrücken und die kleinen Grübchen, die sich in die Wangen graben, als sein Finger auf meinen Lippen ruht. Wenn Alex lacht, bleiben die Fältchen für eine Weile in seinem Gesicht. Wenn er wütend ist, wird es sofort wieder glatt. Alex ist auf eine ganz eigene Art unkonventionell. Er trägt stets teure Stoffhosen mit Bügelfalte und dünne Baumwollpullover mit Rollkragen oder einem steifen Hemd wie heute. Als er an einem Tag mehrere Tausend Euro an der Börse verloren hatte, lud er mich abends in die Oper ein. Die schmuddelige Sushibar mussten wir jedoch umgehend verlassen, nachdem Alex bemerkt hatte,dass er sich zuvor mit der Stoffhose in Dreck gesetzt hatte. Alex ist ein Mann, der sein letztes Hemd für dich geben würde, solange er nackt eine gute Figur macht. Das liebe ich an ihm. Ich glaube, Alex und ich führen die perfekte Beziehung nur aus dem Grund, weil wir keine Beziehung führen. Wir sind wie Nachtfalter, die kommen und gehen, ohne dass man traurig sein muss, weil der nächste Sonnenuntergang sie wieder durch die Luft flattern lassen wird.
    »Du bist wunderschön, Anna.«
    Ich nehme sanft seinen Finger von meinen Lippen und küsse seinen Handrücken.
    »Das liegt daran, dass es stockdunkel ist. Der Mond macht die Menschen schön.«
    Ich presse die Lippen aufeinander, als ich bemerke, dass ich gerade die Worte meiner Mutter verwendet habe. Meine Augen wandern zur runden weißen Kugel am Himmel, während sich die Erinnerungen daran in mir ausbreiten, wie meine Mutter früher am Abend das Licht löschte, so dass nur noch die sanften Strahlen des Mondes in unsere Zweizimmerwohnung fielen, womit unser etwas spärliches Leben vor unseren Augen entschwand. Ich sehe meine Mutter, wie sie mich im Dunkeln auf ihren Schoß nimmt und mir ins Ohr flüstert, welch wunderbare Dinge sich um uns herum befinden. Es war ein schönes Spiel. Meine Mutter sagte immer: »Wenn dir etwas nicht gefällt und du es nicht ändern kannst, dann sieh woandershin. Und wenn du nirgendwo anders hinsehen kannst, dann sieh nach innen, in dich rein, und freu dich, wenn du etwas Schönes findest.«
    Der Mond spiegelt sich in Alex’ Augen.
    »Warst du eigentlich gern ein Kind?«
    »Was soll die Frage, Anna? Ich bin doch immer noch eins. Nur dass ich heute lieber mit Aktienpaketen und verbohrten, selbstverliebten Geschäftspartnern spiele.« Alex lächelt spitzbübisch, so dassich mir für einen Moment vorstellen kann, wie er als kleiner Junge ausgesehen haben könnte. »Und sie spielen mit«, fügt er hinzu. »Und du? Warst du gern ein Kind?«
    »Na ja. Eigentlich schon. Als ich klein war, gab es ein wunderschönes Märchenbuch in unserer Wohnung. Es war in seidiges Papier eingeschlagen, das in allen erdenklichen Farben leuchtete, und ich fragte mich immer, wie all die Geschichten, die mir meine Mutter vorlas, in diese paar alten, abgegriffenen Seiten zwischen den leuchtenden Buchdeckeln passten. Als ich größer wurde, verschwand das Buch … ehe ich herausfinden konnte, dass nicht eine davon darin gestanden hatte.«
    »Es hat nicht eine davon in dem Buch gestanden? Woher weißt du das?«
    »Sie hat es mir auf mein Bett gelegt, nachdem ich sie … nachdem ich sie das letzte Mal gesehen habe.« Ich stocke einen kurzen Moment, dann drehe ich mich zu meinem

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