Einzelstücke - Möller, M: Einzelstücke
stundenlang irgendwelche Lampen vom Schrott und will nichts mehr von mir wissen. Nur Sex, der geht irgendwie immer.«
Sex? Allein das Wort in Kombination mit dem Gedanken an Moritz’ vor Schweiß glänzende Haut erregt mich. Ich blicke auf Astrids Hände, die nervös die Zettel hin und her schieben.
»Was soll ich jetzt tun? Kann man so jemanden heiraten? Ist er der Richtige für mich? Diese Zettel sind scheiße.«
»Süße«, versuche ich mich zu konzentrieren, »in der Liebe funktioniert so etwas auch nicht. Da kannst du in zwanzig Jahren noch Dinge rechts und links in die Waagschalen werfen.«
»Meinst du?«
»Ja. Es liegt höchstwahrscheinlich daran, dass wir Menschen nicht perfekt sind.«
Meine Freundin stellt drei Teller mit dampfenden Spiegeleiern und knusprigem Toast zwischen die verzweifelte Astrid, die allmählich in ihrem Stuhl auf die Größe einer Siebenjährigen zusammenschrumpft, und mich. Schweigend nehmen wir die ersten Bissen und sind sichtlich erleichtert über den köstlichen Geschmack.
»Genau«, meint Lena, »wir sind nicht perfekt. Eher wie ein Möbel von IKEA. Bei dem einen fehlt ’ne Schraube, und beimanderen verstehst du die Aufbauanleitung nicht, und beim dritten fragst du dich, will ich tatsächlich etwas haben, was nicht nur in meinem Schlafzimmer aufzufinden ist?«
Ich überlege, welches Möbel von IKEA Moritz wohl wäre, und lächle. Lena sieht mich eigenartig an, als würde sie sich langsam Sorgen um mich und meine geistige Verfassung machen.
»Alles in Ordnung, Anna?«
Meine Gedanken wandern von meiner zu ihren Bettgeschichten.
»Sicher. Gibt es eigentlich etwas Neues von Mona oder Thomas oder von etwas anderem?«, frage ich so beiläufig wie möglich.
Lena tupft sich die Lippen mit einer Serviette ab und antwortet zwischen zwei Schlucken Wasser: »Nein, nein, es gibt nichts Neues.«
»Wir sprechen nicht drüber?«, meint Astrid.
»Wir sprechen nicht drüber. Auch das macht eine gute Freundschaft aus.« Lena greift erneut zum Wasserglas. »Und was gibt’s bei dir so Neues, Anna?«
Ich schiebe die Gabel über den Teller und lasse sie auf dem Rest vom Spiegelei ruhen.
In meinem Kopf zieht nur eine Sache all meine Aufmerksamkeit auf sich.
Er.
Er.
Er.
Er.
Er.
»Nichts. Ich war mit Tim feiern und bin betrunken mit einem Typen nach Hause gegangen, neben dessen Kühlschrank im Schlafzimmer ich heute Morgen dann wieder aufgewacht bin.«
»Und?«
Ich habe seitdem dieses Gefühl, dass die Welt trotz all ihren Völkermorden und Umweltkatastrophen und Kriegen um Geld und Macht ein geradezu wunderschöner Ort ist.
»Nichts und.«
»Wir sprechen nicht drüber?«
»Wir sprechen nicht drüber.«
Von da an herrscht eine eigenartige Stille am Tisch. Mir wird klar, dass ich so wie immer ein paar Kleinigkeiten über meinen One-Night-Stand erzählen müsste, um ihn belanglos erscheinen zu lassen. Auch wenn ich mich nicht mehr genau erinnere. Was immer in den letzten Stunden passiert ist, es hat dafür gesorgt, dass ich nun ein dauerhaft anhaltendes Bedürfnis danach verspüre, irgendwelche Kinderlieder zu singen, dass ich nicht lange auf meinem Stuhl sitzen bleiben kann und ich mir einbilde, CNN müsse informiert werden, dass die Erdanziehungskraft langsam nachlasse.
Verdammt!
Mit Moritz!
Wie soll das enden? Wir lieben uns einen Sommer lang. Wir gewöhnen uns einen Herbst lang aneinander. Wir streiten uns einen Winter lang. Wir brechen uns gegenseitig das Herz im Frühling.
Ist hier denn niemand, der das stoppen kann?
Normalerweise hätte Christina jetzt einen witzigen Spruch gesagt, um das Schweigen zu brechen und uns alle zum Lachen zu bringen. Ah, da sie mir gerade in den Sinn kommt, kann ich ja gleich mal das Resultat meines geschickten Schachzugs neulich im Büro meinen Freundinnen verkünden.
»Ich treffe mich übrigens am Montag mit Christina. Sie wird die nächste Frau im MeMa . Großartig, nicht wahr?«
*
Später an diesem Nachmittag stehe ich in dem strahlenden, warmen Lichtkegel, der durchs Fenster fällt und die Staubflocken nur so tanzen lässt, während die Möbelpacker und ein paar alte Kumpels von Alex Umzugskartons, Topfpflanzen, riesige Lampenschirme und einen Flügel an mir vorbeihieven. Jedes Mal, wenn ein Möbel seinen neuen Platz in der Wohnung findet, verleiht es den kleinen Staubflocken eine andere Flugrichtung. Irgendwie tun mir die kleinen weißen Teilchen leid, dass sie so abhängig von äußeren Einflüssen sind, und ich spüre dabei, wie
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