Einzelstücke - Möller, M: Einzelstücke
ich selbst gern eine Staubflocke wäre in einem Atelier irgendwo in Köln. Meine Gedanken wandern zu Moritz wie die Staubwolken hinter einem Umzugskarton her. Der Flügel rollt an mir vorbei.
»Na, Anna, was meinst du? Würde er sich nicht hier in der Ecke super machen?«
Alex betrachtet das einfallende Licht durch das große Altbaufenster, das das dunkle Holz des Flügels an einigen Stellen glänzen lässt. Ich betrachte Alex. Das Shirt rutscht ihm hinten aus der Jeans. Ein völlig eigenartiger Anblick, da Alex für gewöhnlich dem Leben und der Frauenwelt samtweich in edlen dunklen Stoffhosen und fein gearbeiteten Hemden oder Pullovern mit Rollkragen oder leichtem V-Ausschnitt begegnet. Es stört mich, dass er nicht so ist, wie ich ihn kenne. Umso mehr beruhigt es mich, als Alex endlich sein Shirt richtet, zum Flügel geht und dessen Klappe öffnet. Mit den sanften Tönen, die durch die halbleere Wohnung schwingen, hat Alex seine gewohnte Klasse und Eleganz zurück.
»Alex hat sich ganz schön verändert!«
Ich erschrecke darüber, dass die Worte wie aus dem Nichts auf einmal so nah an meinem Ohr ertönen. Ein Kumpel von Alex hat sich neben mir mit einem Bierchen in der Hand in den Fensterrahmen gelehnt.
»Wieso? Nein, das finde ich nicht.«
»Na, guck dich doch mal um. Er hat ein Babyzimmer eingeplant!«
»In das er am Ende doch wieder den Flügel schiebt und die Plattensammlung die Wände hoch stapelt.«
»Da wäre ich mir dieses Mal nicht so sicher«, deutet er ohne nähere Details an und spült seine weiteren Gedanken mit einem Schluck Bier herunter.
»Brich ihm nicht das Herz, Anna!«
»Ich? Wieso ich?« Das ist doch totaler Quatsch. Ich kann Alex gar nicht das Herz brechen, weil wir zwei absolut unabhängige Wesen sind, deren Leben sich nur ab und zu streifen. Oder lag ich damit mittlerweile falsch? War Alex etwa meinetwegen nach Köln gezogen? Meine Augen wandern ungläubig zu Alex an den Flügel.
In diesem Moment erscheint ein weiterer Freund wutschnaubend im Türrahmen.
»Ey, Alex, Torsten! Der Umzugswagen ist noch voll mit Plunder, und ihr steht hier oben rum und quatscht oder klimpert auf dem Flügel rum! Ich glaub’s ja wohl nicht!«
Ich kenne ihn gar nicht, aber er ist wohl eher der Typ, der die tausend Kilometer bis nach Italien an einem Stück abreißt, statt am Fuße der Alpen einen Klappstuhl aufzubauen und durchzuatmen. Ich bin eher der Klappstuhltyp. Daher schiebe ich meinen Hintern in den Fensterrahmen, schlage mir den Dreck der bereits geschleppten Kisten von den Handflächen und krame mein Handy aus der Jeanstasche.
Nur um zu sehen, ob jemand angerufen hat.
Nur um zu sehen, ob ein Fotograf angerufen hat. Moritz und ich hatten die Nummern vor einiger Zeit aus »beruflichen« Gründen eher beiläufig ausgetauscht. Wenn ich geahnt hätte, wie nervös mich diese Verbindung einmal machen würde! Andererseits hätteich auch nie geahnt, dass ich heute Morgen in aller Frühe und unter größtmöglichem Schock aus den seidenen Laken in einem Bett irgendwo in einem mir fremden Atelier springen würde, ohne ein weiteres Wort mit Moritz zu sprechen. Normalerweise hinterlasse ich einen Zettel mit der Aufschrift: Danke für die Nacht, ruf mich nicht an, weil die Wahrheit eine der besten Zeiteinsparungsmaßnahmen ist, die es gibt. Ich habe vorgefertigte Exemplare zwischen den Scheinen in meiner Geldbörse stecken. Tim sagt, dieses Verhalten resultiere daraus, dass Frederik mich verlassen hat. Ich sage, mit Frederik hat das nichts zu tun.
Jetzt auf dieses Handy zu starren und keine Nachricht erhalten zu haben, damit hat es etwas zu tun.
Mist.
Angst breitet sich in mir aus.
Ich hätte nicht einfach so das Atelier verlassen dürfen, ohne ein weiteres Wort … War Moritz verärgert? Oder gelangweilt? Oder war ich abgehakt, nachdem er mit mir geschlafen hatte?
Wütend beiße ich mir auf die Unterlippe. Normalerweise war es immer ganz anders. Der Typ war für mich abgehakt, sobald ich mit ihm geschlafen hatte. Das fühlte sich gut an. Es bedeutet Kontrolle. Sicherheit. Verhängnislosen Spaß. Freiheit. Aber sobald du mit einem Typen schläfst, in den du dich verguckt hast, kannst du dich auch gleich begraben lassen.
Alex reißt mich mit einem Kuss auf die Wange weg von einem dunklen Grabstein, auf dem in goldenen Lettern mein Name befestigt ist.
»Weißt du, Anna, ich habe das Gefühl, dass sich jetzt alles langsam zum Guten wendet, dass es die richtige Entscheidung war, zurück nach Köln
Weitere Kostenlose Bücher