Einzelstücke - Möller, M: Einzelstücke
perfekten Currywurst bestehen!
*
In meiner Mittagspause tackere ich mein schlechtes Gewissen an meiner Schreibtischunterlage fest und flüchte zu Lena in den Delikatessenladen. Tatsächlich ist von Mona auf der anderen Straßenseite nichts mehr zu sehen. Die Fenster sind mit Zeitungen von vergangenen Tagen beklebt, und ein Schild in der Tür offeriert den Verkauf. Und da ist es wieder, mein Gewissen. Dieses Mal nur von anderer Couleur. Ich beobachte meine Freundin durch eines der großen Fenster ihres Ladens, wie sie sich hinter der Theke über Ziegenkäse in Lorbeerblättern, eingelegte Peperoni in Olivenöl und eine Paprika-Tomaten-Tarte beugt, um die KölnerSenfspezialitäten in den kleinen Gläschen mit den Etiketten nach vorn zu drehen.
Als das Glöckchen über der Tür erklingt, breitet sich ein Lächeln auf Lenas Lippen aus.
»Anna! Was machst du denn hier?« Fast stößt sie mit dem Kopf gegen die obere Kante der Glastheke. Lena wischt sich die Hände an einer Schürze ab und schließt mich in ihre Arme.
»Mittagspause.«
»Auf der anderen Rheinseite?«
»Ich muss gleich noch etwas im Belgischen Viertel erledigen. Außerdem habe ich gehört, dass es hier den fluffigsten Milchschaum in ganz Köln gibt.«
Lena geht auf meine Anmerkung nicht ein.
»Außerdem tut es mir leid, dass ich heute Morgen so komisch war.«
Lena wandert hinter die Theke, um einige Hebel eines Siebträgers zu betätigen, Milch aufzufüllen und Bohnen mahlen zu lassen. Sogleich breitet sich ein wunderbar würziger Geruch nach frischem Kaffee in dem kleinen Laden aus. Ich beobachte das Treiben und Lenas Miene, von der mehr und mehr das anfängliche Lächeln verschwindet und sich kleine Sorgenfältchen an dessen Stelle setzen.
»Ist schon okay. Dafür solltest du dich besser bei Moritz entschuldigen.«
Sie deutet mit zwei dampfenden Tassen in den Händen auf einen runden Tisch vor einem der bodentiefen Fenster. Kaum habe ich den Geschmack von süßlichem Milchschaum an meinen Lippen, sieht Lena mich unvermittelt an und sorgt dafür, dass der weitere Kaffeegenuss erst einmal warten muss.
»Er bedeutet dir etwas.«
Nun fällt mir doch tatsächlich die Kaffeetasse aus der Hand.
»Das kann man so einfach doch gar nicht sagen.«
»Okay. Ich hab’s ja gewusst. Wir haben es alle gewusst, dass du, sobald es ernst wird, wieder mal alles falsch machst, was man so falsch machen kann.«
Ich kann die Worte meiner Freundin kaum glauben. Hatte sie das tatsächlich gesagt? Bevor ich etwas erwidern kann, von dem ich auch nicht weiß, was das sein soll, fährt Lena fort.
»Ja. Vielleicht wird es Zeit, dir das jetzt mal zu sagen, auch wenn es wehtut. Seit ich dich kenne, machst du das immer wieder. Du stößt Menschen, die dir wichtig sind, vor den Kopf, verletzt sie und lässt sie nicht an dich ran, und letztendlich machst du sie und dich damit unglücklich. Und mal ehrlich, wir haben alle gewusst, dass du nur mit Frederik zusammen warst, weil du so alles andere, das dir wirklich etwas bedeutet hat und vor dem du Angst hattest, dass es dich verletzt, von dir fernhalten konntest. Oder willst du mir erzählen, du hättest Frederik wirklich geliebt?«
»Ich …«, versagt mir die Stimme. Zu schnell drehen sich die Worte von Lena in meinem Kopf und scheinen an sensiblen Stellen aufzuschlagen.
Lena zögert kurz, wirft ihren rotblonden Pferdeschwanz in den Nacken und stöhnt, aber dann sagt sie es doch.
»Und das wusste Christina auch.«
*
Während ich mich in unsagbar langsamem Tempo durchs Belgische Viertel bewege, schwirren mir Lenas Worte durch den Kopf. Als sie meinte, dass Christina vom ersten Augenblick an in Frederik verliebt gewesen wäre und sich über all die Jahre zurückgehalten hätte, obwohl sie und auch Astrid und Lena gewusst hätten, dassmeine Liebe zu Frederik seiner Liebe zu mir niemals gerecht wurde. Ich fühle mich unwohl bei diesem Gedanken, genauso wie ich mich unwohl fühle, nun zu Moritz zu gehen, der seine Mittagspause im Atelier verbringt. Trotzdem werden meine Schritte schneller, meine Gedanken konfuser, bis ich nicht mehr wirklich weiß, was richtig und was falsch ist.
Hausnummer 64.
Meine Füße bleiben stehen.
Ich erinnere mich dunkel an die weiß gestrichene Hauswand aus Backstein, an die zwei Stufen zur Haustür und den Magnolienbaum neben den Mülltonnen, als ich bei Sonnenaufgang in Jeans und Shirt aus Moritz’ Atelier geflüchtet war, die Unterwäsche hastig in die flache Handtasche gestopft,
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