Einzelstücke - Möller, M: Einzelstücke
Interview mit Susan Winter mittlerweile dem Layout weitergeleitet, da es ja in der aktuellen Ausgabe erscheinen wird. Ich lasse es Ihnen direkt mal per Mail zukommen, damit Sie es einem abschließenden Redigieren unterziehen können, bevor wir es dann Frau Winter zur Freigabe noch mal vorlegen.«
»Sehr gern.«
»Gut. Dann bis später. Und wie gesagt: Keine Sorge wegen Moritz.«
Also, entweder ist mein Chef schwul oder verheiratet. Das ist wie mit den Dingen aus Privatauktionen bei Ebay. Das, was du haben willst, ist entweder defekt oder du wirst im letzten Moment von r…2 oder m…6 überboten!
Liebe schwule Männer, ich vergöttere euch, defekt ist in diesem Zusammenhang eher als beziehungstechnisch inkompatibel zu verstehen. Als Beispiel möchte ich gern anführen, dass ich erst neulich Fred neue Geranien geschenkt habe, nachdem er seine bunten Wasserleichen im Container vor dem Büro unter Tränen und tiefem Selbstzweifel begraben musste.
Ich lächle bei dem Gedanken an Fred und fahre meinen Computer hoch, um schnellstmöglich das Interview von Susan Winter zu redigieren. Auch wenn Herr Bender von exzellent sprach, gab esganz sicher noch eine Menge zu optimieren. Als meine Augen jedoch über die Zeilen fliegen, muss ich feststellen, dass ich damit zu spät dran bin.
*
Das ist nicht mein Interview. Ich starre, geradezu frei von jedweder Fassung, auf den Computerbildschirm, während ich nervös meine Unterlippe zwischen den Fingern hin und her knete. Das hätte ich mir ja auch gleich denken können, wenn Herr Bender derart begeistert davon ist!
Susan Winter über die Liebe zu gasbetriebenen Herdplatten, die Last mit erfolglosen Diäten und der ewigen Suche nach der perfekten Currywurst!
Verdammt.
Verdammt.
Verdammt.
Bin ich wach?
Ja, ich bin wach. Ich erinnere mich leider nur zu gut an die zutiefst erschreckende Gestalt, die heute Morgen in meinem Spiegel stand und die Gesichtszüge verzog, als hätte sie gerade irgendetwas unter dem Sofa gesichtet, das dort seit Jahren vor sich hin modert.
Was mache ich jetzt nur?
Werde ich langsam verrückt?
Noch mal ja. Ich denke, in mein Wahrnehmungsvermögen und die geistige Orientierung fressen sich sukzessive immer größer werdende Löcher.
Anrufen.
Ich muss jemanden anrufen.
»Tim?«
»Anna. Warum flüsterst du? Ich kann dich kaum verstehen.«
»Erinnerst du dich noch an das Interview, das du für mich getippt hast?«
»Sicher. Mann, warst du betrunken. Außerdem klingst du jetzt schon wieder so, als hättest du dir ein, zwei Gläschen gegönnt. Ist alles okay?«
»Tim! Ich bin im Büro. Ich habe ganz sicher nicht getrunken!«
Hm. Wieso habe ich eigentlich noch nichts getrunken?
»Schon gut. Kein Grund, sich aufzuregen. Ach, übrigens, das mit Corinna, der Blondine von letztem Samstag, könnte was Ernsteres werden. Sie hat jetzt meine E-Mail-Adresse. Wir chatten.«
»Ihr chattet? Das ist wirklich wahnsinnig verhängnisvoll. Aber könnte ich vielleicht noch mal kurz auf das Interview zurückkommen? Kannst du dich daran erinnern, dass ich dir etwas von Susans Vorliebe für hochexklusive essbare Dessous erzählt habe?«
»Ha! Nein. Ganz sicher nicht. Süße, daran würde ich mich erinnern.«
Ich bin mir sicher, dass Tim sich in so einer Sache nicht irrt, leider kann ich mich jedoch erinnern, dass Susan es MIR erzählt hat.
»Danke. Ich rufe später wieder an.«
»Jep. Und besorg was von dieser essbaren Unterwäsche!«
»Tschüss, Tim.«
»Ach Sweety. Bis später. Und immer schön locker bleiben.«
*
Immer schön locker bleiben? Immer schön locker bleiben? So etwas kann auch nur ein Anfangzwanzigjähriger sagen. Wenn du erst mal über dreißig bist, ist nichts mehr mit immer schön locker bleiben. Dann ist das Leben viel zu hinterlistig, korrupt und verworren.Nach meiner Einschätzung ist schön locker erst wieder mit Ende sechzig drin.
Selbst Fred hat mit Erscheinen in der Redaktion gemerkt, dass ich mich in einem gewissen zerknirschten Zustand befinde und mir umgehend eine Handvoll frischer Pfefferminzblättchen aufgebrüht. Ich drehe einen aus der Tasse herausragenden Stängel der Minze, während sich meine Gedanken scheinbar mitdrehen. Es gibt nur zwei Menschen, denen Susan Winter unter anderem von essbaren Dessous erzählt hat. Einer davon bin ich.
Der andere ist …
Mist!
Mist!
Mist!
Was für ein elender Mist!
Ich wünschte, mein Leben würde lediglich aus gasbetriebenen Herdplatten, erfolglosen Diäten und der Suche nach der
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