Einzelstücke - Möller, M: Einzelstücke
ungeschminkt und mit einem Pony, der versuchte, die kleinen Kumuluswölkchen am Himmel zu streifen.
Winsberg steht handschriftlich auf einem Zettel, der hinter einen der Klingelknöpfe geschoben wurde. Ich drücke den Knopf, während mein Kopf voll und leer zugleich ist. Kaum ziehe ich jedoch den Finger zurück, breitet sich ein unglaublich flaues Gefühl in meinem Magen aus.
Der Türöffner brummt. Ich drücke die Haustür auf und nehme ohne Eile eine Stufe nach der anderen. Die Wohnungstür steht offen, von Moritz keine Spur. Hinter dem kurzen Flur erstreckt sich ein riesiger Raum mit hohen Decken und großen lichtdurchfluteten Fenstern. Offene Regale und Arbeitsflächen durchbrechen die Weite, übersät von Zeitschriften, Bildern, Büchern, Objektiven, Stativen und Kameras. Zwischendrin ein bisschen Kunst, eine glitzernde Glasskulptur, ein offener Schrank mit Herdplatte, in der Mitte des Raumes ein runder roter Kühlschrank, und daneben entdecke ich das Bett. Zwei mal zwei Meter Futon, auf dem sich zweigraue Decken und ein paar Kissen rekeln. Ein Zipfel einer Decke berührt die Holzdielen, neben dem Bett stehen eine leere Rotweinflasche und zwei Gläser.
Zwei Gläser!
Mein Blick saugt dieses Detail des Raums auf, während von Moritz weiterhin keine Spur zu sehen ist. Ich bin versucht, über das Laken zu streichen, warum, weiß ich selbst nicht.
»Anna!«
Bei seiner Stimme in meinem Nacken zucke ich zusammen und kämpfe gegen eine Gänsehaut.
»Hallo. Ich bin nur vorbeigekommen, wegen …«, stammle ich vor mich hin und bedauere es, nicht seinem Blick standhalten zu können. Bevor ich fortfahren kann, mich zu erklären, unterbricht mich Moritz.
»Es ist okay, wenn du mich nicht deinen Freundinnen vorstellst. Das macht mir nichts.«
Moritz’ Worte wirken alles andere als entlastend auf mich. Es macht ihm nichts macht mir eine ganze Menge!
»Es ist okay für dich?«
»Ja, sicher. Du wirst deine Gründe dafür haben.«
Hm. Etwas verdutzt sehe ich ihn an. Eigentlich hatte ich mir schon ein paar Argumente zurechtgelegt, warum ich Lena und Astrid noch nichts von Moritz erzählt hatte und warum das auch ganz normal war, wie ich fand, doch die Tatsache, dass es für Moritz okay ist, nervt mich irgendwie doch. Lenas Worte schieben sich zwischen meine wirren Gedanken. Sobald es ernst wird, mache ich alles falsch!
Moritz zuckt nur mit den Schultern und wendet sich einigen Abzügen von Schwarz-Weiß-Fotos auf einem großen Holztisch zu.
»Ich bin gar nicht wegen dieser Sache mit Lena hier …« Ich tretevon hinten an Moritz heran, um den Geruch seiner Haut wahrzunehmen. »Ich bin wegen des Interviews von Susan Winter hier.«
»Ich weiß. Herr Bender hat es dir heute zur Korrektur gegeben«, antwortet Moritz, ohne den Blick von den Abzügen zu wenden.
»Moritz!« Ich greife ihn von hinten um seinen Oberarm. Endlich dreht er sich zu mir um.
»Anna. Mir ist klar, dass du gemerkt hast, dass es um Informationen ergänzt wurde, die dir wegen deines kleinen Alkoholrausches entfallen waren. Ich habe das Interview genommen, es um die Informationen, die du vergessen hattest, ergänzt und ein paar Tage später wieder zurück in das Fach von Herrn Bender gelegt. Fertig!«
Er hatte das Interview verbessert? Meine Güte. Die Hitze wandert durch meinen Körper. Während ich die ganze Zeit annahm, Moritz wollte mit allen Mitteln verhindern, dass er mit mir zusammenarbeiten muss, hat er in Wahrheit dafür gesorgt, dass ich den Job beim MeMa bekommen habe.
»Aber warum?«, frage ich etwas geistesabwesend.
»Weil es für mich ein Leichtes war. Ich war bei dem Interview dabei. Und ich habe ein gutes Gedächtnis. Das ist alles. Keine große Sache also.«
Moritz schiebt die Hände in seine Jeans und sieht mich kurz und bestimmt an, um sich dann wieder den Fotos auf der Arbeitsplatte vor einem der großen Fenster zu widmen. Ich blicke auf seinen Rücken. Was sollte das nun wieder?
»Moritz! Das ist doch Quatsch!«
Moritz reagiert nicht. Kein Zucken. Nichts. Ich beginne mich zu fragen, ob er gerade in so etwas wie einen Sekundenschlaf gefallen ist oder sich irgendwie wegmeditiert hat, als er langsam seinen Kopf hebt und aus dem Fenster blickt.
»Es war dir ein Leichtes! So etwas Bescheuertes habe ich nochnie gehört. Kein Mensch macht sich so viel Arbeit, um …« Ich schiebe mich zwischen Moritz und die Abzüge, als mein Blick erstmals auf das Motiv der Bilder fällt. Auf jedem einzelnen … bin ich. Lächelnd.
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