Eis und Wasser, Wasser und Eis
schwarzen Strich, lässt dann ihren Blick weiter in das große Dunkel darüber gleiten, ein unendliches Nichts mit kleinen, leuchtenden Punkten von etwas, und dann hört sie sich selbst seufzen, und bevor sie es verhindern kann, huscht ihr der wohlbekannte Gedanke durch den Kopf, den fernzuhalten sie so viel Zeit und Kraft geopfert hat: Warum ist der Himmel leer?
Sie streckt sich und macht eine Bewegung mit dem Oberkörper, beobachtet sich aber selbst dabei, und es ist ihr peinlich. O ja. Sie weiß es. Warum ist der Himmel leer? ist nicht nur eine ehrliche Frage, eine, die sie immer in sich getragen hat. Es war auch der Titel ihres ersten Buches. Einer Gedichtsammlung, die erschien, noch während sie zur Universität ging, ein dünnes kleines Bändchen, das nur auf einer einzigen Kulturseite besprochen wurde, aber dort mit so einer süffisanten Verachtung, dass sie nicht nur beschloss, nie mehr, niemals mehr auch nur ein Wort zu schreiben, sondern auch ihr Studium abbrach und einen Job als Putzfrau im Öresundhotel in Landskrona annahm. Das war ein Exil, das auf sie gewartet hatte, war sie doch bis obenhin voll mit alter Trauer und neuer Scham, ein Exil, das über ein Jahr andauerte, ein inneres Exil, in dem sie nur den Weg zwischen dem Hotel und der halb leeren Zwei-Zimmer-Wohnung im Koppargården ging, die sie gemietet hatte, als die Gemeinde die Mieten in einem verzweifelten Versuch senkte, die Finanzen der kommunalen Wohnungsbaugenossenschaft zu retten, und ein Exil, das erst an dem Tag beendet wurde, als sie auf dem Heimweg von ihrer Arbeit grußlos an Elsie vorbeigegangen war.
Sie hatte die Zwillingsschwester ihrer eigenen Mutter nicht erkannt. Sie hatte sich nicht einmal umgedreht, als die Tante ihren Namen rief. Sie hatte sich nur geschüttelt, sich frei gemacht, als die Tante sie beim Arm fasste. Sie brauchte Hilfe. Und die bekam sie. Elsie bezahlte die Therapie. Inez und Birger erfuhren nie etwas davon …
Jemand ist auf der Treppe, jemand, der mit leichtem Schritt läuft und der vor sich hin summt, ein zufriedener, erleichterter, glücklicher Mensch, der die drei Schritte bis zum Odenplatz schnell absolviert, als liefe er. Es ist der Arzt. Anders. Er lächelt Susanne zu, während er an den Manschetten zupft, sodass eine weiße Stoffkante unter der blauen Wolle seines Pulloverärmels hervorlugt, er ist so sauber und frisch gebügelt, dass er wie eine Waschmittelreklame aussieht, und sein Lächeln ist so glücklich, dass sie sich wundert.
»Hast du im Lotto gewonnen?«
Die Frage rutscht ihr so schnell heraus, dass sie selbst überrascht ist, aber er scheint sie nicht falsch aufzufassen, bleibt nur stehen und zeigt ein noch breiteres Lächeln.
»Ja, allerdings. Hast du etwa eine Niete gezogen?«
Sie muss auch lachen.
»Das weiß ich nicht. Ich wusste ja nicht einmal, dass überhaupt eine Ziehung war.«
Er fährt sich mit der Hand über seinen kahlen Schädel, ein Duft nach Seife schlägt ihr entgegen.
»Ja, man weiß ja nie … Vielleicht gibt es noch mehrere Ziehungen. Wollen wir hoffen.«
Susanne steht halb auf und macht Anstalten, die Nachrichtensammlung wieder an die Tafel zu hängen. Anders beobachtet sie.
»Ist das der heutige Ersatz für eine Zeitung?«
Susanne unterbricht ihr Vorhaben und hält ihm die weißen Blätter hin, er wirft ihr einen raschen Blick zu, als er sie entgegennimmt, und fragt, die Augen auf den Text gerichtet, in bemüht beiläufigem Ton:
»Keine Besonderheiten in der Kabine heute Nacht?«
Susanne lässt sich wieder auf der Bank nieder und schüttelt den Kopf.
»Nein.«
Er kann sich offenbar auch nicht auf die Nachrichten konzentrieren, sein Blick huscht nur darüber hinweg, dann streckt er sich zur Anschlagtafel und greift nach einem Magneten, hält aber plötzlich inne. Susanne folgt seinem Blick. Eva. »WER HAT DAS VERLOREN?«
Anders nimmt den Magneten. Plötzlich ist er nicht mehr so prickelnd morgenfrisch, sein Gesicht sieht nicht mehr aus, als hätte er im Lotto gewonnen. Er ist etwas blass geworden. Seine Stirn wird feucht. Er nimmt das Foto herunter, sieht es jedoch nicht an, faltet es nur zusammen und zerreißt es in vier Teile, nimmt dann das Wischtuch und wischt den roten Text weg, ehe er sich wieder umdreht und Susannes Blick begegnet. Sie ist aufgestanden.
»Und woher kennst du Eva?«, fragt sie.
Des Frühlings Licht und Dunkelheit
Inez schlug die Augen auf. Die Sonne drang durch die halb geöffnete Jalousie und malte Streifen auf die rote
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