Eis und Wasser, Wasser und Eis
Susanne verzog angewidert das Gesicht, drehte sich um und ging.
Der dicke Polizist hatte ihr erklärt, wie sie zum Hotel Högland kam. Über den Södra torget. Die Storgatan entlang. Dann immer geradeaus. Und schließlich hatte er ihr die Hand auf die Schulter gelegt und leicht geklopft. Es würde schon alles gut werden. Ihre Eltern würden ja morgen früh mit dem ersten Zug kommen, und bis dahin hätten sie Björn bestimmt gefunden. Sicherlich würde es Vernehmungen und eine Untersuchung geben, aber sie brauchte sich keine Sorgen zu machen. Denn dieser Robban war ja nicht schwer verletzt. Eine geplatzte Lippe, ein bisschen Nasenbluten und ein lockerer Zahn, das war alles. Wahrscheinlich würde es mit dem Skandal etwas schlimmer werden, aber ihr Bruder oder Cousin oder was er nun immer war, der würde das schon schaffen. Und sie selbst sollte am besten ins Hotel gehen und sich aufs Ohr legen.
Tommy und Eva hatten mit einem anderen Polizisten geredet. Hinterher waren sie sich auf dem Flur begegnet, aber sie waren einfach an ihr vorbeigegangen, hatten sie ignoriert, so getan, als gäbe es sie gar nicht, als hätte es sie nie gegeben. Und sonderbarerweise hatte sie sich genauso verhalten. Hatte ihnen nur einen kurzen Blick zugeworfen und sich dann umgedreht. War vor ihnen durch die Tür des Polizeigebäudes hinausgegangen, ohne sie ihnen aufzuhalten, hatte nur geahnt, dass sie so dicht hinter ihr gewesen waren, dass einer von ihnen – vermutlich Tommy – sie gerade noch hatte auffangen können, ehe sie ihm vor der Nase zugeschlagen wäre. Dann war sie auf den Bürgersteig getreten und hatte sich mit dem Rücken zu ihnen hingestellt, hatte mehrere Male tief Luft geholt und versucht, zu sich selbst zu kommen. Zu ihrer Verwunderung, ihrer Trauer, ihrer Besorgnis, ihrer Wut, was auch immer sich in ihr befand. Es war ihr nicht gelungen. Sie war eiskalt und ruhig gewesen. Rational. Hatte gedacht, aber nicht gefühlt.
Obwohl das nicht so ganz stimmte, dachte sie, während sie den Marktplatz überquerte. Etwas hatte sie auf jeden Fall gefühlt. Verachtung. Sie hatte gesehen, wie Eva sich bereits im Folkets Park aufplusterte, dass ein Hauch von Berechnung dahintersteckte, als sie dafür gesorgt hatte, dass die Polizei – und damit auch der Fotograf mit seinem schwarzen Blitzlichtgerät, dieser dicke Onkel von der Lokalzeitung – erfuhr, dass sie eine wichtige Zeugin war, vielleicht sogar die Hauptperson in dieser Geschichte. Und vor dem Polizeirevier hatte sie das Kunststück vor den beiden vom Aftonbladet oder Expressen noch einmal wiederholt. Denn hier hatte sich natürlich ein Eifersuchtsdrama abgespielt. Da war Björns Eifersucht auf Robban. Oder auf Tommy. Susanne schnaubte verächtlich. Wie wollte Eva die Fäden zusammenführen?
Jetzt war sie an der Storgatan angekommen. Irgendwo schlug eine Uhr, und sie blieb einen Moment lang stehen, versuchte die Schläge zu zählen. Sinnlos. Es blieb bei einem. Also war es schon ein Uhr nachts. Sie sah sich um. Kein Mensch zu sehen. Nicht ein Lebewesen. Die Stadt lag genauso leblos da wie vor nicht einmal zehn Stunden, als sie angekommen waren. Björn könnte die Straße entlanggehen, vollkommen offen. Niemand würde ihn sehen. Niemand würde ihn aufgreifen. Hoffnung keimte in ihr, aber nur eine Sekunde lang. Früher oder später würde er auftauchen und gefasst werden.
Denn kein Mensch konnte einfach so verschwinden. Sich in Luft auflösen. Sich vernichten lassen.
Eine Welt außerhalb der Welt
Eine Ewigkeit des Schweigens. Dann räuspert sich Anders:
»Ich war mit ihr verheiratet.«
Es ist das erste Mal, dass er das sagt. Er war. Nicht, er ist. Susanne reißt die Augen auf:
»Du bist mit Eva verheiratet gewesen?«
Er spürt, wie ihm der Schweiß auf die Oberlippe tritt, und fährt schnell mit der Hand darüber, um ihn wegzuwischen. Wie ein schuldbewusstes Kind. Wie ein Junge, der nach Ausflüchten sucht. Deshalb bleibt ihm nur noch ein Wort übrig:
»Ja.«
»Aber wie um alles in der …«
Sie bricht mitten im Satz ab. Sieht wohl ein, dass die Frage unverschämt wäre. Trotzdem gelingt es ihm, sie anzulächeln:
»Das frage ich mich auch manchmal …«
Ihr Blick irrt umher, sucht offenbar nach Worten. Weniger unverschämten. Sie findet sie und sieht ihm in die Augen:
»Ich habe dieses Foto gemacht.«
Erst jetzt merkt er, dass er die Reste des Fotos fest in der Faust verschlossen hält. Er öffnet die Hand und guckt auf die Schnipsel.
»Dann hättest du es
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