Eis und Wasser, Wasser und Eis
vielleicht gern gehabt?«
Susanne richtet sich auf, legt sich die Hände auf den Rücken und sieht ihn direkt an.
»Nein. Auf keinen Fall.«
Wieder bleibt es eine Weile still, dann lächelt er. Sie erwidert sein Lächeln rasch, es ist ein Licht, das plötzlich entzündet wird und ebenso schnell wieder erlischt.
»Björn war mit drauf«, sagt sie dann. »Er stand neben Eva auf dem Bild, als ich es aufgenommen habe.«
Anders zieht die Augenbrauen hoch.
»Björn Hallgren? Dein Bruder?«
Sie weicht seinem Blick aus. Als hätte er sich aufgedrängt. Oder etwas Unpassendes gesagt.
»Cousin eigentlich. Aber wir sind wie Geschwister aufgewachsen.«
Er nickt stumm. Weiß nicht, was er sagen soll, sucht nach der passenden Replik, bevor er tief Atem holt und fortfährt:
»Sie muss ihn abgeschnitten haben. Bevor sie mir das Foto geschenkt hat.«
Ihr Lächeln ist wieder unsicher.
»Gut.«
Warum ist das gut? Er hält in letzter Sekunde diese Frage zurück, lächelt stattdessen erneut, wenn auch ein bisschen weniger herzlich, und sagt:
»Aber ich glaube bestimmt, dass sie den anderen Teil aufbewahrt hat. Eva hat sich nie unnötig von Sachen getrennt.«
Susanne wendet den Blick ab.
»Mit Menschen verhält es sich anders.«
Dem könnte er zustimmen, aber er sagt nichts, neigt nur den Kopf und betrachtet erneut die vier Papierfetzen in seiner Hand.
»Wie lange seid ihr schon geschieden?«
Ihre Stimme klingt zögerlich. Vorsichtig. Er antwortet nicht, sieht sie nicht einmal an, schließt nur die Hand und tritt ein paar Schritte nach rechts, lässt die Überbleibsel des Fotos in einen Papierkorb fallen.
»Nein«, sagt er dann, ohne recht zu wissen, was er eigentlich verneint. »Jetzt werde ich erst einmal frühstücken.«
Dann dreht er sich um und geht zur Messe.
Es dauert eine Weile, bis auch Susanne dort erscheint. Zu diesem Zeitpunkt hat er sich bereits an den am weitesten entfernten Tisch gesetzt, genau gegenüber dem Eingang. Er hat den Platz mit Sorgfalt ausgesucht. Er will so sitzen, dass er Ulrika sehen kann, wenn sie kommt, sodass er ihr zulächeln kann, so, wie sie ihm zugelächelt hat, als sie gegen vier Uhr morgens seine Kabine verlassen hat.
»Zeit, um Proben zu entnehmen«, hatte sie gesagt, während sie sich anzog. Er selbst lag stumm und reglos in seiner Koje, sah sie an und versuchte zu begreifen, dass es tatsächlich passiert war. Mit ihnen. Mit Ulrika und Anders. Und dass es ihn verändert, ihn zu einem anderen gemacht hatte, nachdem er es zuvor geschafft hatte, sich selbst davon zu überzeugen, dass er nie, niemals wieder mit einer Frau schlafen würde und dass das keineswegs einen Verlust für das weibliche Geschlecht bedeutete, höchstens für ihn selbst. Denn er war ja ein lausiger Liebhaber. Erbärmlich im Bett. Ein übel riechender, behaarter Kerl, der Eva jahrzehntelang nur dazu gebracht hatte, sich zunächst zu versteifen und dann resigniert zu seufzen, wenn er sich ihr näherte. Einer von der hölzernen, tollpatschigen Sorte, der – wie sie erklärt hatte – nie und nimmer würde begreifen können, wie er auf ein wirklich fühlendes Wesen wirkte, ein Wesen, wie sie es war, das sich seine Sensibilität bewahrt und sie gepflegt hatte.
Aber letzte Nacht hatte er also mit Ulrika geschlafen. Und sie war nicht zusammengezuckt, als er sie berührt hatte. Sie war weich, warm und anschmiegsam gewesen. Sie hatte ihn mit offenem Mund geküsst. Ihre Brustwarzen waren steif geworden. Ihr Geschlecht war feucht geworden. Und sie hatte gezittert, kurz bevor er kam, gezittert und gestöhnt, und er hatte spüren können, wie sich ihre Scheide um ihn schloss und eine Welle von etwas Warmem, Feuchtem …
Über dem Frühstückstablett schneidet er sich selbst eine Grimasse. Falsch gedacht. Das, was er mit Ulrika erlebt hat, muss vorsichtig behandelt werden. Es ist nichts, woran er sich einfach am Frühstückstisch erinnern kann, nur um noch einmal zu erleben, wie dieses Prickeln durch sein Nervensystem braust. Davon nutzt sich die Erinnerung ab. Er lächelt leise über den nächsten Gedanken: Dass ist etwas, das er in seinem Herzen bergen muss. Ungesagt. Ungedacht. Und trotzdem meint er genau das. Denn es geschah ja irgendwo weit jenseits aller Worte. Es gibt keine Worte für das Gefühl, wenn alle Schwere weicht, wenn man plötzlich so leicht ist, dass man fliegen könnte, und dabei gleichzeitig so stark, dass man den ganzen Erdball stemmen könnte, ihn hochheben und …
Stop. Er starrt auf sein Ei
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