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Eis und Wasser, Wasser und Eis

Titel: Eis und Wasser, Wasser und Eis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Majgull Axelsson
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und seufzt leise. So geht es auch nicht. Es gibt Bezeichnungen für diese Art von Gefühlsausbrüchen, und die sind nicht besonders schmeichelhaft. Schon gar nicht für Ärzte. Es sind Begriffe, die er in Krankenakten und auf Überweisungen schreibt, Worte, vor denen man sich hüten muss, wie er weiß. Also ermahnt er sich, richtig tief Luft zu holen, dann den Löffel zu nehmen und sein Ei aufzuklopfen, die dünne Schale abzupellen, während er sich umschaut.
    Die meisten sind bereits mit Frühstücken fertig. Nur vereinzelt sitzen noch einige an den grauen Tischen. John brütet ein paar Tische weiter mit finsterer Miene über seinem Kaffee und zupft zerstreut an den Blättern einer kleinen Plastikblume, die in einem Krug vor ihm steht. Roland sitzt an einem anderen Tisch, er liest etwas, beugt sich so kurzsichtig über seine Papiere, dass Anders die Stirn runzelt. Ist dem Mann nicht klar, dass er eine Brille braucht? Gleich darauf hat er die ganze Sache vergessen, denn von einem dritten Tisch schallt Gelächter herüber. Jemand hat einen Scherz gemacht. Robert vermutlich, denn er ist der Einzige dort drüben, der nur schmunzelt, wenn auch äußerst zufrieden, während die anderen – Vincent und Eduardo und zwei amerikanische Forscherinnen – ihn ansehen und laut lachen. Anders windet sich ein wenig auf seinem Stuhl. Es ist immer unangenehm, wenn Leute lachen, ohne dass man weiß, worüber.
    In dem Moment betritt Susanne die Messe. Sie wiederholt ihr Kunststück vom Tag zuvor, lässt den Blick nur über ihn hinweghuschen und nickt gleichgültig, als wäre er sonst wer, nicht ein Mensch, dessen Lebensweg ganz offensichtlich den ihren gekreuzt hat, und geht dann zum Frühstücksbüfett. Nimmt sich eine Tasse und eine halbe Grapefruit, Brot, Butter und …
    »Hallo.«
    Ulrikas Stimme durchfährt ihn, und es dauert den Bruchteil einer Sekunde, bis er sich erinnert, wer sie ist, wer er selbst ist und warum plötzlich eine Woge von Wärme über ihn hinwegspült, dann kommt er zu sich und lächelt sie an.
    »Hallo! Alles in Ordnung?«
    »O ja. Möchtest du allein hier sitzen oder …?«
    »Nein, nein. Auf keinen Fall. Nein!«
    Die Antwort kommt etwas zu hastig und klingt ein wenig zu eifrig. Ulrika schaut etwas zögerlich drein, dann nickt sie nur und geht zum Büfett. Stellt sich neben Susanne und grüßt sie, ihr Gruß wird erwidert, sie unterhält sich mit ihr. Bekommt eine Antwort. Sucht sich Brot aus und redet wieder, während sie einen kurzen Blick über die Schulter wirft, weil erneutes Lachen von Roberts Tisch zu hören ist, nickt dann Susanne zu, die ihr die Thermoskanne hinhält und einschenkt. Und dann geht sie mit dem Tablett los, bleibt nur kurz stehen, um John durchzulassen, der missmutig ihren Weg kreuzt. Grüßt lächelnd, ohne eine Erwiderung. Setzt ihren Weg fort. Auf Anders’ Tisch zu. Aber immer noch im Gespräch mit Susanne, einer Susanne, die ihr auf den Fersen folgt und offensichtlich auch auf dem Weg zu Anders’ Tisch ist.
    Verdammter Mist.
    Er muss sich zusammenreißen. Seine Mimik kontrollieren. Die Enttäuschung nicht sehen lassen und auch nicht seinen Eifer. Seine Neugier in Schach halten, jetzt, wo Susanne neben ihnen sitzt, darf keine Fragen stellen, die er bis jetzt nicht gestellt hat. Darf seine Freude nicht offen zeigen. Niemandem zeigen – nicht einmal Ulrika selbst –, dass er verliebt ist und innerlich wie ein Fünfzehnjähriger bebt.
    Früher war das einfacher. Als er jung war. Er ist nie mit einer ins Bett gegangen, ohne genau zu wissen, mit wem er es zu tun hatte. Er hatte alles über alle vier Mädchen gewusst, die seine gesamten erotischen Erfahrungen ausmachten, bevor er Eva kennenlernte, hatte ihre Eltern und Geschwister getroffen, ihre Ferienhäuser besucht und war mit ihnen auf die Spielplätze ihrer Kindheit gegangen, hatte dafür gesorgt, dass seine eigenen Eltern sie zum Essen einluden, und nachsichtig zugesehen, wie sie mit seiner Schwester gekichert und geflüstert hatten, bevor er überhaupt auf die Idee kam, ihnen die Kleider vom Leib zu fummeln. Das hier ist eine vollkommen neue Erfahrung. In ein Labor gelockt und von einer lächelnden Professorin verführt zu werden, über die er nichts weiß. Beispielsweise, ob sie verheiratet ist oder ob sie Kinder hat …
    Er hebt seine Tasse und nimmt einen Schluck, gerade als sie den Tisch erreichen. Der Kaffee ist lauwarm, er ist abgekühlt, während er hier saß, aber das ist nur gut so. Der bittere Geschmack zwingt ihn,

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