Eis und Wasser, Wasser und Eis
Straßenlaternen verbreiteten ein sanftes Licht. Wald rechter Hand. Wald linker Hand. Björn blieb stehen und schnappte nach Luft, suchte in der Tasche nach seinen Zigaretten, zog ein halb volles Päckchen heraus und zündete sich eine an. Die Finger waren steif. Er fror und schlug den Kragen seiner Jacke hoch. Die dünn war. Viel zu dünn. Das Mädchen stand vor ihm, die Hände in den Taschen, mit einem schiefen Lächeln.
»Bietest du keine an?«
Er gab keine Antwort, sog nur den Rauch ein, während er ihr die Zigarettenschachtel hinhielt. Sie schüttelte den Kopf.
»Ich rauche nicht.«
»Ach. Und warum soll ich dir dann eine anbieten?«
»Aus Höflichkeit.«
»Wie heißt du?«
Ihr Lächeln wurde noch breiter.
»Britt-Marie.
»Ich heiße Björn. Oder ich hieß so.«
Sie schnaubte.
»Willst du mich auf den Arm nehmen?«
Er schüttelte den Kopf. Brachte nichts mehr heraus. Sie schaute ihn an, musterte ihn von Kopf bis Fuß. Er erwiderte ihren Blick. Ihr Haar wurde nass, ein kleiner Tropfen lief ihr vom Pony die Nase hinunter. Sie wischte ihn mit einer verärgerten Geste weg.
»Warum hast du ihn geschlagen?«
Björn schüttelte den Kopf, ohne eigentlich zu wissen, was das bedeuten sollte. Sein Haar war auch nass, er konnte fühlen, wie es leicht an seiner Wange klebte. Er konnte nichts sagen, konnte nichts erklären, zuckte nur leicht mit den Schultern. Erinnerte sich nicht mehr genau, hatte nur noch die vage Erinnerung, dass er früher einmal Björn Hallgren gewesen war. Vor weniger als einer halben Stunde. Vor mehr als einem Leben. Aber das war ein Irrtum gewesen. Alles um diesen Björn Hallgren herum war ein Irrtum gewesen, doch auch das konnte er nicht sagen. Oder dass es jetzt endlich stimmte. Endlich.
Britt-Marie schaute ihn noch einen Moment lang an, dann drehte sie sich um und ging los. Er hob langsam seinen rechten Fuß vom Boden, stellte ihn vor den linken. Ging. Es verblüffte ihn außerordentlich, dass er ging. Er ging tatsächlich einen kleinen Waldweg vor Nässjö entlang, zusammen mit einem Mädchen namens Britt-Marie.
»Wohin gehen wir?«, fragte er schließlich.
Sie drehte sich nicht um, als sie antwortete.
»Zu einem Schuppen. In dem kannst du heute Nacht schlafen.«
Er musste sich durch den Wald durchtasten, rutschte auf seinen dünnen Sohlen über glatte Steine, stolperte über Wurzeln und lose Äste, während Britt-Marie sicher vor ihm herlief und ganz genau zu wissen schien, wo sie ihren Fuß bei jedem Schritt hinsetzen musste. Plötzlich blieb sie stehen, reglos, und lauschte einen Moment lang, bevor sie den nächsten Schritt machte. Wich zur Seite und breitete einen Arm aus, wie um es ihm vorzustellen:
»Hier ist es.«
Es dauerte eine Weile, bevor er sah, was sie ihm zeigen wollte. Die Dämmerung ging bereits in Dunkelheit über. Aber da lag es, eine kleine Behausung mitten im Wald. Ein alter Schuppen. Er versuchte sich aufzurichten und cool zu geben, doch das klappte nicht besonders. Dazu fror er zu sehr. Also kauerte er sich wieder zusammen und nickte bloß.
»Ah ja.«
Er konnte ihr Gesicht kaum noch erkennen, sah aber ihre Umrisse, und als sie ihm wieder den Rücken zuwandte, beeilte er sich, ihr zu folgen. Er wollte sie nicht verlieren. Nicht jetzt, wo die große Finsternis ihn plötzlich umhüllte.
»Die Vierzehnjährigen benutzen das als ihren Knutschplatz«, sagte Britt-Marie und suchte nach etwas. »Aber du brauchst keine Angst zu haben. Sie sind um diese Zeit nicht hier …«
Es rasselte, als sie die Tür öffnete. Drinnen erwartete sie eine noch tiefere Finsternis. Britt-Marie drehte sich zu ihm um.
»Streichhölzer«, sagte sie.
Sie verschwand, er blieb reglos stehen und schaute ihr nach, konnte sie aber erst wieder entdecken, als sie ein brennendes Streichholz vor sich hielt. Sie beugte sich vor und zündete eine kleine Kerze an, die in einem angelaufenen Messingständer auf der Erde stand. Lehmboden. Er trat einen Schritt vor und schaute sich in dem flackernden gelben Lichtschein um. Eine gestreifte Matratze in einer Ecke. Ein kleiner Haufen altes Heu in einer anderen. Er ließ sich auf einen Stein sinken und hörte sich selbst tief seufzen.
Britt-Marie stand plötzlich breitbeinig vor ihm.
»Also«, sagte sie. »Willst du mich gar nicht küssen?«
Nur das hatte sie gewollt. Von dem geküsst werden, der einmal Björn Hallgren gewesen war. Sie legte sich steif auf die Matratze in der Ecke, blieb dort reglos und mit geschlossenen Augen liegen, bis er sich
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