Eis und Wasser, Wasser und Eis
alles. In den Augen der anderen schienen sie auf ebenso geheimnisvolle Art und Weise miteinander verbunden zu sein, wie sie von allen anderen getrennt waren. Alle kannten die Hallgren-Zwillinge, aber niemand wusste, wer Elsie war, und niemand kannte Inez. Sie waren fast immer zusammen, und wenn sie doch einmal getrennt wurden und plötzlich allein dastanden, fühlten sie sich leer und verlassen. Das Lächeln der Erwachsenen erlosch, die Blicke huschten gleichgültig über sie hinweg. Es schien, als würde die Tatsache ihres Zwillingsdaseins sie in dieser Welt verankern und ihre Existenz bekräftigen. Als Lydia sie ein paar Tage nach ihrem sechsten Geburtstag mit zum Weihnachtsmärchen des Stadttheaters nahm, ging ein Raunen durch die Gruppe der anderen Mütter, als Inez und Elsie ihre Mäntel auszogen und ihre hellblauen Taftkleider zum Vorschein kamen – Ooh! Was für entzückende kleine Mädchen! –, und schnell suchten sie nach der Hand der anderen, als wollten sie das Bild noch vollkommener machen. Und als sie in der Schule zum ersten Mal aufgerufen wurden, begrüßte Fräulein Bergström sie mit einem warmen Lächeln und lernte ihre Namen sofort auswendig, auch wenn sie aus ihrem Mund wie ein einziger klangen. Inezundelsie! Herzlich willkommen! Ganz zu schweigen vom Obsthändler Fritzson, der fast jeden Nachmittag aus seinem Laden schaute und sich die Augen rieb, wenn sie auf dem Heimweg von der Schule vorbeigingen – Oi! Jetzt sehe ich wohl schon doppelt! –, nur um sie dann zu sich einzuladen, damit sie sich einen Apfel aussuchen konnten. Er legte die Frucht auf den weißen Marmor der Ladentheke und zerteilte sie mit einem scharfen Messer, schmunzelte über ihr Dankeschön und den tiefen Knicks, bevor er sich seine Brille abnahm und sie mit seiner Schürze putzte. Nichts zu danken! Es ist mir ein Vergnügen. Kleine Mädchen waren ja allein durch ihre Anwesenheit eine Freude in diesen trüben Tagen, und da sie auch noch zu zweit waren, war die Freude gleich doppelt.
Zwilling zu sein, das bedeutete, etwas Besonderes zu sein, buchstäblich getrennt von allen anderen zu sein. Das hatte seine Vorteile. Während die anderen Erstklässler sich ängstlich in den ersten Wochen in der Pause bei der Garderobe herumdrückten, nahmen Elsie und Inez ohne zu zögern ihre Mäntel, zogen sich die Baskenmützen über den Kopf und liefen auf den Schulhof hinaus. Wovor sollte man Angst haben? Sie waren das einzige Zwillingspaar in der ganzen Schule, und bald wussten alle, selbst die Jungs aus der siebten Klasse, diese graubleichen Dreizehnjährigen mit dicken Knien und ihren Träumen von einer Zukunft als Ladenschwengel, wer die Hallgren-Zwillinge waren, auch wenn sie sich natürlich niemals dazu herabließen, mit ihnen zu reden. Aber die Mädchen in der sechsten Klasse, die ständig an ihren Haaren herumspielten, als könnten sie sich mit bloßen Fingern in Kombination mit reiner Willenskraft Locken ins Haar zaubern, redeten umso mehr. Sie gingen vor Inez und Elsie in die Hocke, hielten den Kopf schräg und legten in der Babysprache los. Was waren sie doch für zwei süße kleine Schnuckelchen … Inez und Elsie lächelten und zeigten ihre Lachgrübchen, was die großen Mädchen dazu verleitete, ihre schrillen Stimmen um noch eine Oktave höher zu schrauben. Sooo süß! Und dann beschlossen sie – Solveig und Ebba, Elsa und Gunhild, Signe und Inga –, dass sie, wenn sie einmal groß waren, allesamt auch Zwillinge haben wollten, niedliche weißblonde Zwillingsmädchen mit Locken und Lachgrübchen. Genau wie die Hallgren-Zwillinge.
Alle haben uns gesehen, dachte Elsie und hob die Tasse. Und dennoch …
Sie hatte vergessen, dass sie den Kaffee bereits ausgetrunken hatte. Die Hand stellte die Tasse so schnell wieder zurück auf die Untertasse, dass es leise klirrte. Jetzt hatte sich der Körper entschieden, das war offensichtlich, er hieß sie aufstehen und nach der Uniformjacke greifen, die über der Stuhllehne hing. Die rechte Hand fuhr zum Scheitel hoch und kontrollierte, ob die Schiffsmütze saß, wie sie sollte, dann beugten sich die Knie, und die linke Hand griff nach der Reisetasche. Die Füße begannen sich auf die große Glastür zuzubewegen, die auf die Lime Street hinausführte.
Aha. Dann würde sie also heute Nacht in Liverpool bleiben. Aber wer oder was diese Entscheidung getroffen hatte, davon hatte sie immer noch nicht die leiseste Ahnung.
Das Stork Hotel stammte aus einer anderen Zeit, ein Wrack mit
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