Eis und Wasser, Wasser und Eis
Wohnung gelebt, dieselben Spiele gespielt, denselben Märchen zugehört, die gleichen Gedanken gedacht.
Sie kamen selten mit anderen Kindern zusammen, und wenn es doch einmal geschah, dann waren Inez und Elsie meistens überrascht. Andere Kinder waren merkwürdig. Sie konnten nicht spielen, nicht richtig, nicht so, wie Inez und Elsie spielten, und genau so sollte man spielen. Die Jungen waren am schlimmsten, besonders einer, der Gottfrid hieß. Er hatte immer die Nase geputzt und war mit einem nassen Kamm gekämmt worden, wenn er mit seiner Mutter kam, aber kaum war sie in der Bibliothek verschwunden, um mit Lydia Tee zu trinken, dann wurde er ganz zerzaust und ließ den Rotz laufen. Seine Vorstellung von einem richtig guten Spiel war, im Kinderzimmer herumzuwüten und alles umzuwerfen, was ihm in den Weg kam. Elsie und Inez hockten zusammengekauert auf Elsies Bett und beobachteten ihn kritisch. Warum um alles in der Welt fand er es so witzig, alle Märchenbücher so weit wie möglich ins Regal zu schieben? Oder das Spiel mit den verschiedenen Holzstäben auf dem Fußboden zu verstreuen, wenn er gar keine Lust hatte, damit zu spielen? Und warum sollte man stöhnend und keuchend auf den Schreibtisch klettern, nur um dann auf den Boden zu springen? Man konnte sich doch wehtun, das musste selbst Gottfrid begreifen. Aber offensichtlich tat er das nicht, wie er da auf dem Boden saß und den Rotz hochzog, der ihm bis auf die Oberlippe aus der Nase lief. Er war ganz einfach dumm. Ganz unfassbar dumm. Sie beschlossen, ihn zu ignorieren.
»Wollen wir Sawojäng spielen?«, fragte Elsie Inez.
Inez blinzelte, sie hatte dieses Wort noch nie zuvor gehört, wusste aber sofort, was von ihr erwartet wurde.
»Ja«, nickte sie. »Heute ist ja Donnerstag, da spielen wir immer Sawojäng.«
Gottfrid horchte auf, er stand am Puppenhaus, vollauf damit beschäftigt, den schwarzen Deckel der kleinen Toilette auf- und zuzuklappen. Das war natürlich ein ganz modernes Puppenhaus, da Ernst es selbst gebaut hatte, als er das letzte Mal im Sanatorium gewesen war. Er hatte sogar elektrisches Licht gelegt, auch wenn die Lampe nur sonntags brennen durfte. Sonst wäre die Batterie zu schnell leer.
»Was?«, fragte Gottfrid.
Inez nahm ihre Puppe in den Arm und drückte sie an sich, Elsie schob ihre Haarspange zurecht.
»Was ist Sawo…«, fragte Gottfrid. »Was du gerade gesagt hast.«
Inez warf Elsie schnell einen Blick zu.
»Er weiß nicht, was Sawojäng ist.«
Elsie zog die Augenbrauen hoch.
»Nein, natürlich nicht … Das ist doch geheim.«
»Besonders für Jungen.«
»Ja, denn Jungs begreifen ja nichts …«
Gottfrid ließ die Toilette los.
»Sieh nur«, sagte Inez. »Jetzt stellt er die Toilette ins Wohnzimmer.«
»Vielleicht haben sie ja zu Hause bei ihm die Toilette im Wohnzimmer …«
Inez lachte.
»Und den Herd im Badezimmer!«
»Stimmt das? Habt ihr die Toilette im Wohnzimmer und den Herd im Badezimmer?«
Gottfrid zog den Rotz hoch und entgegnete:
»Haben wir nicht. Aber was ist Sawo…? Was du da gesagt hast.«
»Ein Geheimnis.«
»Haben wir doch gesagt.«
»Das kein Junge erfahren darf.«
»Schon gar nicht solche, die die Toilette im Wohnzimmer haben …«
Gottfrid sah sie einen Moment lang an, betrachtete diese identischen Hallgren-Schwestern, wie sie auf dem Bett saßen, die blonden Köpfe aneinandergelehnt, Inez mit der Haarspange auf der rechten Seite und Elsie mit der Haarspange links, sie trugen die exakt gleichen weißen Blusen mit rundem Kragen und leicht gekrauste blaue Röcke. Er zögerte noch einen Augenblick, maß seine eigene Stärke gegen die ihre und wog seine Chancen ab, als Elsie und Inez ihn plötzlich beide anlächelten, zweimal ein schwarzes, ziemlich gehässiges Lächeln. Sie hatten natürlich auch gleichzeitig ihre Milchzähne verloren. Gottfrid gab auf.
»Mama!«, schrie er. »Mammaaa!«
Und seine Mama kam, stand in der Türöffnung zum Kinderzimmer und lächelte ihr bleiches Lächeln. Eine besorgte Lydia war hinter ihr zu erkennen.
»Aber Gottfrid! Was ist denn los, Gottfrid!«
Gottfrid lag auf dem Boden und zappelte mit den Beinen, verrotzter als je zuvor.
»Die sind blöd! Die haben Geheimnisse!«
Seine Mutter zog ihn hoch und zauberte ein Taschentuch aus ihrer Kleidtasche.
»Natürlich haben sie Geheimnisse«, sagte sie und putzte ihm die Nase. »Sie sind doch Zwillinge.«
Und genauso war es. Inez und Elsie waren Zwillinge, sogar eineiige Zwillinge, und das erklärte so gut wie
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