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Eis und Wasser, Wasser und Eis

Titel: Eis und Wasser, Wasser und Eis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Majgull Axelsson
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versuchten, etwas gegen die anderen Lehrer zu sagen, gab es jedes Mal einen regelrechten Aufstand. Aber einige der Lehrer in der Oberstufe waren richtige Idioten, das war doch gar nicht zu leugnen. Beispielsweise diese eklige Ingeborg, die Chemielehrerin, die so oft mitten im Unterricht in Gedanken versank und anfing, sich über den Busen zu streicheln. Ganz zu schweigen von dem Feuchten Franz, der nicht für Ordnung sorgen konnte, sondern immer wieder auf Deutsch losbrüllte, weil er ja nun einmal Deutsch unterrichtete. Eva nickte kichernd:
    »Ich weiß. Den habe ich auch gehabt. Ruhe! Habe ich nicht gesagt, dass Sie schweigen sollen!«
    Ihr Rücken beugte sich, und für einen Moment war er genauso krumm wie der Rücken des Feuchten Franz, ihre Hände fuchtelten halb geballt in der Luft herum, während die Stimme zitterte und zu einem ängstlichen Schimpfen wurde. Susanne musste laut lachen. Genau so. Auf den Punkt getroffen.
    »Was ist denn hier so witzig?«
    Susanne drehte sich um. Björn stand auf der Treppe und zündete sich eine Zigarette an.
    »Das ist Eva. Sie kann den Feuchten Franz perfekt nachmachen.«
    »Oh. Das will ich sehen.«
    Björn schlenderte langsam den Gartenweg hinunter. Er hatte seinen alten Dufflecoat zugeknöpft und die Kapuze hochgeschlagen. Niemand, der nicht bereits wusste, wer er war, hätte ihn erkannt. Aber Eva wusste es, trotzdem schien sie nicht so lächerlich überwältigt zu sein wie die anderen Mädchen, sie lächelte nur und zeigte ihm ein offenes Gesicht.
    »Wiederholung?«, sagte sie. »Nun ja, ich weiß nicht. Was kriege ich dafür?«
    »Nichts«, antwortete Björn. »Aber ich habe den Feuchten Franz gehasst.«
    Er setzte sich die Kapuze ab und legte den Arm um Susanne, drückte sie leicht an sich und sprach leise zu ihr.
    »Am besten gehst du rein. Es ist schon halb neun, und Inez ist auf dem Kriegspfad.«
    Susanne seufzte. Eva legte den Kopf schräg:
    »Musst du schon reingehen? Wie schade. Aber wir sehen uns nächste Woche, nicht wahr?«
    Susanne nickte stumm.
    »Schön«, sagte Eva. »Und du bist wirklich richtig hübsch geworden.«
    Björn beugte sich vor und musterte Susannes Gesicht.
    »Ja«, bestätigte er und klang fast verwundert. »Das stimmt wirklich.«
    »Danke«, sagte Susanne und gab sich alle Mühe, keinen Knicks zu machen.
    Inez stand im Flur, als sie hereinkam, lehnte die Stirn gegen das kleine Fenster und spähte nach draußen.
    »Wer ist das da?«
    »Eva«, sagte Susanne und zog sich die Schuhe mit den Kreppsohlen aus, ohne die Schnürsenkel zu öffnen.
    »Was für eine Eva?«
    »Eva Salomonsson. Ihre Mutter leitet den Kursus.«
    »Diese Person mit dem Parfümladen?«
    »Mmm.«
    »Aber das Mädchen ist doch wohl älter als du?«
    »Sie ist achtzehn.«
    »Woher kennt sie Björn?«
    »Sie kennen sich nicht.«
    »Ach so. Und warum stehen sie dann am Zaun und unterhalten sich?«
    »Weil ich dort mit ihr gestanden habe, als Björn herausgekommen ist. Und dann haben wir alle drei miteinander geredet. Aber weil es schon halb neun ist, musste ich rein …«
    »Raffiniertes Mädchen.«
    »Was?«
    »Nichts.«
    Inez drehte sich schnell zu Susanne um, schaute sie an und verzog das Gesicht:
    »Du siehst aus wie eine geschminkte Leiche.«
    Und dann lachte sie. Denn das war ja nur ein Scherz gewesen.
    Sie musste die Schminke, die sie von Eva bekommen hatte, verstecken. Das war nur logisch, so selbstverständlich, dass sie den Gedanken nicht einmal denken musste. Sobald sie die Schwelle zu ihrem Zimmer überschritten hatte, schob sie die Tür hinter sich zu, ließ sich auf die Knie fallen und tastete unter der Matratze. Sie musste nicht nachsehen, um ihr Versteck zu finden, es genügte, die Fingerspitzen gegen das weiche Äußere stoßen zu lassen und es hervorzuziehen. Das Tagebuch war noch da, das fühlte sie durch den dünnen Baumwollstoff, trotzdem zitterte ihre Hand etwas, als sie an der Schnur zog.
    Sie setzte sich aufs Bett und öffnete den alten Sportbeutel. Der war ganz abgenutzt, die gedrehten Kordeln aus Baumwollgarn waren an einigen Stellen so dünn, dass nur noch ein paar Fäden alles zusammenhielten, und die Stiche in dem weißen Monogramm lösten sich. EH sollte bald zu FH werden, aber das war nur gut so. Dann würde niemand sehen können, dass Susanne den alten Turnbeutel ihrer Tante in Beschlag genommen hatte, niemand würde sie wegen Diebstahls anklagen können. Denn sie hatte ihn ja nicht gestohlen. Nicht richtig. Sie hatte nur eine Sache in Gebrauch

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