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Eis und Wasser, Wasser und Eis

Titel: Eis und Wasser, Wasser und Eis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Majgull Axelsson
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warum, beugte er sich vor und klappte den Dynamo vom Reifen. Sie waren am Strandpavillon vorbeigegangen, bald würden sie den Hafen und die Stadt erreichen.
    »Wo wohnst du?«
    Jetzt lächelte sie wieder, ihre Augen funkelten.
    »Wieso?«
    Er konnte diesem Lächeln nicht widerstehen, er musste es erwidern:
    »Nun ja, ich dachte, dass du auf dem Weg nach Hause bist. Und dass ich dich begleite.«
    Sie lachte auf.
    »Na gut. Wenn du meinst, dass du das schaffst.«
    »Ist es so weit?«
    Wieder funkelte ihr Blick:
    »Oben beim Krankenhaus.«
    Er guckte verwundert.
    »Warum sind wir dann hier gegangen? Das ist doch ein Umweg.«
    Sie fasste seinen Arm und legte kurz die Wange an seinen Dufflecoat:
    »Aber du wolltest es doch«, sagte sie lachend. »Und ich wollte, weil du es wolltest.«
    Da blieb er unter einer Laterne stehen, beugte sich vor und küsste sie.

»Ich glaube, ich gehe ins Bett«, sagte Birger und umfasste die Armlehnen seines Sessels.
    Inez wandte ihren Blick vom Fernseher ab.
    »Ja, tu das.«
    »Und du?«
    »Ich bin noch nicht müde.«
    Birger blieb sitzen, bereit aufzustehen, ohne wirklich Anstalten dazu zu machen.
    »Willst du auf ihn warten?«
    Inez warf ihm einen zerstreuten Blick zu und versuchte gleichgültig auszusehen.
    »Was? Nein. Ich bin nur noch nicht müde.«
    Birger stand immer noch nicht auf:
    »Aber sonst bist du um diese Uhrzeit immer müde.«
    Inez musste tief Luft holen, um ihre Verärgerung zu unterdrücken. Ruhig und freundlich. Sie musste ruhig bleiben.
    »Schön möglich. Aber heute Abend nicht.«
    Eine Weile blieb es still. Auch ohne ihn anzusehen, trotzdem wusste sie, dass er immer noch in derselben Haltung verharrte. So machte er es immer, wenn er seinen Willen durchsetzen wollte. Alle glaubten, sie wäre die Starke von beiden, da sie es war, die am lautesten und am meisten redete, doch so war es gar nicht. Sie waren wie Glas und Gummi. Sie war aus Glas, mit fester Außenhülle, aber zerbrechlich. Birger war aus Gummi. Aus dickem Gummi. Er war weich und nachgiebig, konnte aber nicht kaputtgehen. Er ertrug alles. Hielt alles aus. Besiegte alle.
    Und dabei war Birger einmal als jemand ganz anderer geboren worden. Er sollte gar kein außergewöhnlich zielstrebiger Studienrat für Geschichte und Politik werden, sondern ein pessimistischer Schuster, Ebenbild und Nachfolger seines Vaters, ein Mensch, der jede Hoffnung verweigerte. Das war ein Erbe, unendlich viel bedeutsamer als das Geld vom Hof seiner Großeltern mütterlicherseits, diese zehntausend Kronen, die auf einem Konto der Landskrona Sparbank lagen und niemals angerührt werden durften, nicht einmal, als sein Vater irgendwann im Alter von über fünfzig neue Zähne brauchte. Da kaute der Alte lieber drei Jahre lang in Wasser eingeweichtes Brot, während er einen Fünfkronenschein nach dem anderen in ein verstaubtes Weckglas legte, das in der hintersten Ecke seiner höhlenartigen Werkstatt stand. Als endlich genug für ein Gebiss zusammengespart war, hatte er fast vergessen, wie man kaute.
    Daheim bei dem Schuhmacher war Trübsinn das wichtigste Prinzip, dicht gefolgt von Misstrauen. Neidische Götter wachten Tag und Nacht über dem Haus, bereit, sofort zuzuschlagen, sobald jemand zu laut lachte oder zu ausschweifende Träume träumte. Deshalb brach Birgers Mutter in Tränen aus, als er im Alter von zehn Jahren seine Lehrerin überredet hatte, mit zu ihm nach Hause zu gehen, um ihrerseits die Eltern zu überreden, ihn auf die Oberschule gehen zu lassen. Das war eine wohlüberlegte Strategie, wie er Inez viele Jahre später erklärte. Schon als Zehnjähriger hatte er gewusst, dass er studieren wollte, aber er hatte auch gewusst, dass sein Vater ihm niemals erlauben würde, sich für die Oberschule zu bewerben, wenn nicht eine höhere Autorität ihre Finger mit im Spiel hatte. Nicht, dass diese Lehrerin viel Autorität gehabt hätte, sie war eine der Religiösen, wie man die Leute in Landskrona nannte, die in die Kirche der Pfingstgemeinde gingen, und von dem Schuster, der Atheist und Sozialist war, hieß es, dass er die Religiösen verachtete. Aber Birger wusste schon damals, dass das nur leeres Geschwätz war. Denn im Grunde genommen hatte der Schuster immer Angst, sobald ein Mensch, der nur die geringste Ausbildung hatte – ein mittlerer Schulabschluss genügte –, sich der Werkstatt näherte. Erst wenn solche Kunden die Tür wieder hinter sich geschlossen hatten, wurde er laut und fing an, auf die arrogante Oberklasse zu

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