Eisberg
Passierschein vorzeigte und den Pförtner nach dem Weg fragte, beugte Pitt sich aus dem Fenster und schaute der Einschienenbahn zu, die über sie hinwegfuhr. Sie befanden sich am Nordende des Parks. Alles, was er hinter den von Landschaftsbildnern kunstvoll modellierten Hügeln sehen konnte, waren die obere Hälfte des Matterhorns und die Zinnen des Phantasieland-Schlosses.
Man schwenkte das Tor auf, und sie durften passieren.
Während Pitt die unterirdischen Gänge zu den Büros der Parkaufsicht entlangging, dachte er, wie bequem er es doch in seinem Krankenhausbett in Reykjavik gehabt hatte. Wann er sich wohl endlich wieder richtig ausruhen durfte?
Die Büros der Disneyland-Verwaltung überstiegen Pitts kühnste Vorstellungen. Der Hauptkonferenzraum war gigantisch; er sah aus wie der Tagungsraum des Generalstabs im Pentagon, wenn auch im verkleinerten Maßstab. Trotzdem hatte der Tisch in der Mitte eine Länge von wenigstens 15 Metern, und über zwanzig Leute hatten sich um ihn versammelt. In einer Ecke befand sich ein Funkgerät. Der Funker war eifrig damit beschäftigt, bestimmte Punkte im Park anzugeben. Ein zweiter markierte sie auf einer Riesenlandkarte, die wenigstens drei Meter hoch war und die halbe Wand bedeckte. Pitt ging langsam um den Tisch herum und stellte sich vor die eindrucksvolle Reliefkarte. Er studierte die vielen farbigen Lichter und die Spur, die der Markierer mit einem Klebestreifen in blauer Leuchtfarbe durch die Verkehrsgebiete des Parks legte, als Kippmann ihm auf die Schulter tippte.
»Sind Sie bereit?«
»Ich bin immer noch halb auf isländische Zeit eingestellt. Da ist es jetzt fünf Uhr nachmittags. Ich könnte einen kleinen Drink vertragen.«
»Tut mir leid, Sir.« Die Worte kamen von einem großen, Pfeife rauchenden Mann, der Pitt durch eine randlose Brille anblickte.
»Seit es Disneyland gibt, hat hier noch niemand Alkohol trinken dürfen. Davon wollen wir auch heute nicht abgehen.«
»Wie schade«, erwiderte Pitt gutgelaunt. Er sah Kippmann erwartungsvoll an.
Kippmann begriff. »Major Dirk Pitt, gestatten Sie mir, Ihnen Mr. Dan Lazard, den Chef der Parkverwaltung, vor kurzem noch beim FBI, vorzustellen.«
Lazard drückte Pitt fest die Hand. »Mr. Kippmann hat mich über Ihre Verletzungen bereits informiert. Glauben Sie, daß Sie es trotzdem schaffen?«
»Ich werde es schon hinkriegen«, meinte Pitt düster. »Aber wir müssen etwas mit meinem in Verbände eingewickelten Gesicht machen – es sieht zu verdächtig aus.«
Lazards Augen leuchteten vergnügt auf. »Ich glaube, wir können Sie so herrichten, daß niemand mehr Ihre Verbände bemerkt – nicht einmal die Krankenschwester würde das tun, die Sie verarztet hat.«
Später stand Pitt vor einem Wandspiegel und stellte sich in Positur. Er konnte sich nicht entscheiden, ob er lachen oder in eine Flut wüster Schimpfworte ausbrechen sollte. Die lebensgroße Figur des bösen Wolfes starrte ihn unfreundlich aus dem Spiegel an. »Sie müssen zugeben«, meinte Kippmann, der nur mühsam ein Kichern unterdrücken konnte, »daß nicht einmal Ihre eigene Mutter Sie in diesem Aufzug wiedererkennen würde.«
»Ich glaube, mein Aussehen entspricht meinem Charakter«, gab Pitt zurück. Er nahm die Wolfsmaske ab, setzte sich auf einen Stuhl und seufzte. »Wie lange haben wir noch Zeit?«
»Nach Kellys Zeitplan soll die Aktion in einer Stunde und vierzig Minuten starten.«
»Glauben Sie nicht, daß Sie mich langsam losschicken sollten? Sie lassen mir nicht viel Zeit, die Killer zu finden … wenn ich sie überhaupt erkennen kann.«
»Wenn man meine Leute, die der Parkverwaltung und die Agenten des FBI zusammenzählt, sind nahezu vierzig Leute damit beschäftigt, den Mordanschlag zu verhindern. Ich will Sie erst einsetzen, wenn wir keine andere Möglichkeit mehr haben.«
»Ich diene Ihnen also nur als Notnagel.« Pitt lehnte sich zurück und blickte düster. »Ich kann nicht behaupten, daß mir Ihre Taktik gefällt.«
»Es sind keine Amateure am Werk, Major. Jeder von den Leuten da draußen ist ein Profi. Einige haben wir in ebensolche Kostüme gesteckt wie Sie. Einige schlendern Hand in Hand wie Liebespaare durch die Gegend. Andere wieder spielen die Rolle einer Familie, die sämtliche Karussells und Achterbahnen ausprobiert. Und wieder andere haben sich als Aufseher verkleidet. Wir haben sogar Leute mit Ferngläsern auf den Dächern und in den großen Märchenpuppen postiert.« Kippmanns Stimme klang müde, doch man
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