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Eisblume

Eisblume

Titel: Eisblume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sybille Baecker
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Tränen in die Augen. Tränen der Erleichterung, der Dankbarkeit. Gleichzeitig meldeten sich wieder seine Schuldgefühle, weil er jetzt nicht an der Seite seiner Familie stand.
    »Wie …« Ein Kloß im Hals verhinderte, dass er weitersprechen konnte.
    »Viel mehr kann ich dir im Moment leider noch nicht sagen. Wir melden uns heute Abend noch einmal, ja?«
    »Ja.«
    Er blieb noch eine Weile am Fenster stehen, wartete, dass die Gefühlswallung nachließ, wischte sich verstohlen eine Träne aus dem Augenwinkel, dann wählte er Cecilias Nummer. Er erreichte nur den Anrufbeantworter. Anscheinend hatte sie gerade einen Patienten. Er sprach ihr die Nachricht seiner Eltern auf das Band. Noch immer war ein inneres Zittern in seinem Körper. Vor siebzehn Stunden erst hatte Daniel ihn angerufen. Es kam ihm vor, als läge dieser Anruf Jahrzehnte zurück. Daniels Frau würde überleben, das war die eine Nachricht. Sie würde weiterleben, das war die Aufgabe, der sie sich nun stellen mussten. Alle. Warum hatte Babs versucht, sich das Leben zu nehmen?
    Die Sitzung der Soko war spät, weil sie noch auf Troppers Rückkehr von der Obduktion gewartet hatten. Brander sah in die müden Gesichter seiner Kollegen. Kaum einer hatte in der Nacht mehr als ein, zwei Stunden geschlafen.
    »Nael Vockerodt starb an einer Hirnblutung infolge einer schweren Schädelfraktur«, erklärte Tropper den anwesenden Kripobeamten. »Er bekam zwei Faustschläge ins Gesicht, dabei wurden die rechte Schläfe und das Auge getroffen. Daher die Verletzung des Augenlids und der Haut unterhalb des Auges. Dann wurde das Opfer vermutlich von vorne auf Höhe von Brustkorb und Solarplexus getreten. Wir haben Teile eines Schuhabdrucks auf der Kleidung des Verstorbenen gefunden. Durch den Tritt geriet das Opfer aus dem Gleichgewicht. Bei der Ausweichbewegung kam er dann vermutlich ins Straucheln und rutschte auf einer vereisten Fläche aus. Er verlor das Gleichgewicht und fiel relativ ungeschützt rücklings auf den Gehsteig, wobei der Hinterkopf unglücklich auf der Bordsteinkante aufprallte. Die Kapuze ist entweder beim Sturz oder schon vorher durch die Schläge ins Gesicht vom Kopf gerutscht, hätte aber eh nicht viel Schutz geboten. Es kam zu einer Längsfraktur des Schädelknochens, was wiederum zu einem Epiduralhämatom führte.«
    »Epiduralhämatom? Du meinst ‘ne Beule?«, hakte Hendrik nach.
    »Nein, umgangssprachlich spricht man von einer Hirnblutung. Das epidurale Hämatom drückt die äußere Hirnhaut und das Gehirn nach innen.«
    Hendrik hob abwinkend die Hand. »Okay, erspar mir weitere Details.«
    Tropper fuhr fort: »Das Opfer war alkoholisiert. Es wurden eins Komma zwei Promille nachgewiesen. Das könnte eine Erklärung für den ungeschützten Sturz sein. Verlangsamung der Reflexe. Nachdem das Opfer am Boden lag, wurde er noch zwei-, dreimal seitlich unterhalb des linken Rippenbogens getreten.«
    Einen Moment lang herrschte betroffenes Schweigen.
    »Was für ein Schuhabdruck war das?«, meldete sich Hendrik als Erster zu Wort.
    »Ein grobes Profil, schwere Winter- oder Wanderschuhe«, erklärte Tropper.
    »Springerstiefel?«, fragte Peppi.
    »Denkst du an Nazis?«, wandte sich Brander an die Kollegin.
    »Ja, es könnte sich um einen Fall von Fremdenhass handeln. Immerhin war Nael Vockerodt schwarz.«
    »Rechtsradikalismus in Tübingen?« Brander zog nachdenklich die Stirn in Falten. »Ich weiß nicht. Das ist hier doch alles Multikulti, liberal, alternativ, meinetwegen auch links. Aber dass der Mann von Neonazis zusammengeschlagen wurde?«
    »Ich glaub, dann hätte er auch anders ausgesehen. Die geben sich nicht mit ein, zwei gezielten Faustschlägen zufrieden. Die hätten richtig zugelangt«, gab Tropper zu bedenken.
    »Und wenn sie gestört wurden?«, erwiderte Hendrik.
    »Ausschließen lässt es sich nicht«, räumte Brander ein. Bisher hatte es in Tübingen nur wenige Probleme mit Nazis gegeben.
    »Vor ein paar Jahren gab es doch mal diesen Aufmarsch von so ein paar Kleinhirnigen«, erinnerte Hendrik an eine Demonstration der Jungen Nationaldemokraten. »Wann war das? Im Sommer 2007, oder?«
    »Ja«, bestätigte Karl-Heinz Barowsky mit rauer Stimme. Anscheinend bahnte sich auch bei ihm eine Erkältung an. »Weit sind die aber nicht gekommen. Haben kurz mal die Nase aus dem Bahnhof gesteckt und konnten dann wieder abmarschieren. Die Tübinger Bürger hatten eine Gegenveranstaltung auf die Beine gestellt: Bürgerfest für Toleranz und Demokratie.

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