Eisblume
dem Sofa waren mit neuen Bezügen mit weihnachtlichen Motiven bezogen. Im Fenster hingen Lichterketten, und ein Nussknacker hatte auf der Fensterbank Posten bezogen. Auf dem Esstisch war ein Kerzenständer ebenfalls mit vier roten Kerzen bestückt, daneben eine Schale mit Nüssen und Lebkuchen. Im Regal stand ein anscheinend selbst gebastelter Adventskalender, bei dem die ersten zwei Türchen geöffnet waren.
»Der ist von Angie«, erklärte Beckmann, der Branders Rundumblick verfolgt hatte. Mit Angie meinte er seine Nachbarin Angelika Januscheck. »Süß, oder?« Dabei kräuselte er kurz die Nase.
»Oh ja, süß«, versuchte Brander einen, wie er meinte, seichten Ton anzuschlagen. »Seid ihr hier gerade alle im Weihnachtswahn?«
»Andi! Letzten Sonntag war der erste Advent. Wenn nicht jetzt, wann dann?« Sein zum Weihnachtsfetischist mutierter Kumpel lotste ihn in Richtung Couchgarnitur, als das Telefon klingelte. »Entschuldige, ich muss kurz rangehen. Geht um einen wichtigen Auftrag.«
Brander ließ sich auf den Sessel fallen, lehnte sich zurück und schloss einen Moment lang die Augen. Anderthalb Stunden Schlaf waren definitiv zu wenig. So oft hatte er schon auf diesem Sessel gesessen, und einige Nächte hatte er auch schon – meistens nach reichhaltiger Whiskyverkostung – auf dem Sofa verbracht. Er mochte diesen Mann mit seiner unkomplizierten, direkten Art, und die kleinen Sticheleien zwischen ihnen konnte er mittlerweile genießen, ohne zu befürchten, dass Beckmann sich in ihn verlieben würde. Sie waren Freunde. Gute Freunde.
Er musste eingeschlafen sein, denn er schreckte hoch, als Beckmann wieder in den Raum zurückkehrte und »Essen ist fertig!« rief.
Brander stöhnte auf und erhob sich schwerfällig.
»Müde?«, fragte Karsten mitfühlend.
»Ja, war ‘ne kurze Nacht.«
»Musstest du arbeiten?«
»Du hast nichts mitgekriegt?«, wunderte sich Brander. So weit war die Eugenstraße nicht von der Katharinenstraße entfernt, und die Pressemitteilung der Polizeidirektion stand sicher auch schon auf der Homepage des Schwäbischen Tagblatts.
Beckmann hob entschuldigend beide Hände. »Ich war beschäftigt …«
»Ach so?« Brander sah ihn fragend an.
»Willst du Details?« Karsten warf ihm einen Blick zu, der Brander ahnen ließ, welche Details er bereithielt.
»Nein, es reicht mir zu wissen, dass du ein Alibi hast.«
Beckmann zog eine Grimasse und setzte sich an den Tisch. »Und wofür brauche ich ein Alibi?«
»In der Eugenstraße wurde heute Nacht ein Toter gefunden.«
»Ermordet?«
Brander zuckte die Achseln. »Steht noch nicht so genau fest. Könnte auch ein Unfall gewesen sein.« Das konnte er Beckmann sagen. Die gleiche Information hatten sie in der Pressemitteilung herausgegeben.
Sie verspeisten eine ungeheure Portion Spaghetti mit Pesto und frisch geriebenem Parmesan, und anschließend bereitete Beckmann Brander den versprochenen doppelten Espresso.
Er leerte die Tasse in einem kräftigen Schluck und drehte den Stuhl ein Stück zur Seite, sodass er Beckmanns Aquarium sehen konnte. Er liebte den Anblick der still umherschwimmenden Fische und der beruhigenden Grüntöne der Pflanzen. Bald, ganz bald, würde er sich auch ein Aquarium kaufen. Drei grüne Sumatrabarben schwammen gemächlich an der Scheibe vorbei, während es sich am Boden zwei Welse gemütlich gemacht hatten. Eine angenehme Ruhe ging von dem stillen Treiben aus.
Doch irgendetwas schien heute anders. Brander blinzelte, sah genauer hin. Im oberen Drittel, links und rechts der Frontscheibe … Nein, er konnte es nicht glauben.
»Ich fass es nicht! Du hast Glitzersterne an dein Aquarium geklebt.«
»Klasse, oder? Das sind phosphoreszierende Sterne, die leuchten im Dunkeln. Du musst dir das mal nachts angucken. Sieht super aus.«
Brander zeigte ihm einen Vogel.
»Mir war danach. Ich brauchte ein bisschen Licht und Freude in meinem Leben. Und die Fische sollten auch etwas davon haben.«
»Aber dir geht es gut, oder?«
»Schlechten Leuten geht’s immer gut.«
Brander stand auf, streckte sich. »Danke fürs Essen und für den Espresso.«
»Jederzeit.« Auch Beckmann erhob sich. »Kommst du mit Ceci am Sonntag? Ich würd mich freuen, euch im Ziel zu sehen.«
Das erste Dezemberwochenende. Der Nikolauslauf. Den hatte Brander schon völlig verdrängt. Mit Mühe und Not und mittels Bestechung mit einem sechzehnjährigen Aberlour Double Cask hatte Brander Beckmann davon abhalten können, auch ihn zum Lauf anzumelden.
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