Eisblume
So etwas kommt doch nicht von heute auf morgen. Warum haben wir nichts bemerkt?«
»Andi, ich weiß es nicht. Ich bin genauso ratlos wie du.«
Brander konnte nur ahnen, was in Cecilia vor sich ging. Sie war Psychologin, arbeitete seit Jahren als Psychotherapeutin und war genauso überrascht von der Seelennot der Schwägerin wie er selbst.
Er zog sie an sich, nahm sie fest in seine Arme.
Donnerstag
Als Brander aus der morgendlichen Soko-Besprechung kam, stand auf seinem Schreibtisch ein Weihnachtsteller mit vielen kleinen Päckchen verschiedener Form und Maße.
»Was ist das denn?«, fragte Brander verdutzt. Er sah zu Peppi, die unwissend die Schultern hob.
Brander setzte sich an seinen Tisch, legte die Unterlagen neben den Teller. »Also von dir ist das nicht?«
»Nein, aber vielleicht ist es ja für mich und wurde nur versehentlich auf deinem Tisch abgelegt.« Peppi kam näher und betrachtete neugierig den Teller.
Die Geschenke waren in Weihnachtspapier verpackt. Auf jedem Päckchen klebte ein Glitzerstern mit einer Nummer. Ein Adventskalender. Brander begann zu ahnen, wer ihm diesen Gruß geschickt hatte. Er hob den Teller an, suchte nach einer Karte oder einem anderen Hinweis, der seine Ahnung bestätigte, fand jedoch nichts.
»Los, pack mal aus. Heut ist der Dritte«, forderte Peppi, die ihre Neugier nicht verbergen konnte.
Brander nahm das Päckchen mit der Nummer drei und wickelte es aus dem Papier. In einem kleinen Schächtelchen lag eine einzelne Praline: Whisky-Sahne-Trüffel.
»Och, das ist ja nett! Ist der von Cecilia?«
»Nein, ich glaube nicht.« Er nahm sein Handy.
»Yep?«, meldete sich sein Gesprächspartner am anderen Ende.
»Süß!«, zwitscherte Brander ins Telefon, und Beckmann brach in schallendes Gelächter aus.
»Das ging aber schnell«, stellte er fest.
»Wir haben deine Fingerabdrücke in unserer Datenbank.«
»Verdammt, wann werden die endlich gelöscht?«, schimpfte Beckmann noch immer lachend. »Ich hatte gestern das Gefühl, du wärst ein bisschen neidisch auf meinen Adventskalender, und als ich abends über die chocol ART schlenderte, dachte ich mir: Karsten, du könntest mal wieder einen Bullen bestechen.«
Das Schokoladen-Festival Anfang Dezember gehörte inzwischen schon zu Tübingen wie der Weihnachtsmarkt am dritten Adventswochenende. Fast eine ganze Woche wurden internationale Schokoladenspezialitäten an zahlreichen Ständen in der Altstadt zwischen Neckargasse, Holzmarkt und Rathaus angeboten. Hinzu kam ein buntes Rahmenprogramm mit Schoko-Tasting, Schoko-Massagen und Schoko-Menüs in den Restaurants. Ein Eldorado für Schokoladenfans. Eigentlich hatte Brander vorgehabt, nach der Arbeit mit Cecilia über den Markt zu gehen. Im Moment verspürte er jedoch wenig Lust dazu.
»So, so. Und der Bulle bin ich.« Brander sah auf den Teller. »Ich vermisse die Nummern eins und zwei.«
»Was soll ich sagen?« Beckmann seufzte theatralisch. »In einem hemmungslosen, unkontrollierbaren Anfall von Heißhunger auf Whiskytrüffel habe ich für einen kurzen Augenblick die Beherrschung verloren. Ich weiß auch nicht, wie das über mich kommen konnte. Andi, es war grauenvoll!«
Brander schmunzelte. »Und welchen Gefallen schulde ich dir jetzt?«
»Im Moment keinen, aber wer weiß …«
»Becks, bleib anständig, ja?« Auch wenn Brander wusste, dass Karsten mit seiner kriminellen Vergangenheit abgeschlossen hatte, wollte er nicht so leichtfertig mit derartigen Scherzen umgehen.
»Du denkst viel zu schlecht von mir.«
»Berufskrankheit. Jedenfalls danke ich dir.«
»Der ist von deinem Becks?«, fragte Peppi, nachdem Brander aufgelegt hatte. Sie verzog angewidert das Gesicht. Brander hatte noch nicht herausfinden können, warum die Kollegin so eine offene Antipathie für Beckmann hegte.
»Ja, und wärst du nicht immer so biestig zu ihm, hättest du vielleicht auch einen bekommen.« Brander steckte sich demonstrativ die Praline vor Peppis Augen in den Mund. »So, und jetzt fahren wir zu Jasmin Risch«, nuschelte er mit vollem Mund und leckte sich die Finger ab, bevor er nach seiner Jacke griff.
Eine Frau, die sich als Jasmins Mutter vorstellte, ließ Brander und Peppi in die Wohnung. Jasmin Risch saß auf dem Sofa, blass, verheult, apathisch. Ihre Mutter bot den Kommissaren zwei Stühle und Tee an.
»Das ist ein Kräutertee mit Ingwer. Er wirkt belebend und wärmend«, erklärte sie, während sie die hellgrüne Flüssigkeit in zwei Tassen goss.
Brander war froh, dass
Weitere Kostenlose Bücher