Eisblume
Drei Monate Training waren nicht lang genug, und er wollte nicht vom Schlussläufer von der Strecke geschickt werden.
»Sofern es die Arbeit zulässt, bin ich da.«
Peppi kehrte gerade mit Hendrik Marquardt und Karl-Heinz Barowsky vom »Il centro« zurück, als Brander wieder in die Dienststelle kam.
»Und? Fündig geworden am Tatort?«, begrüßte ihn Peppi.
Brander schüttelte den Kopf. »Was gibt’s hier Neues?«
»Ich war mit den Kollegen in der Uni«, berichtete Hendrik, als sie gemeinsam die Stufen in die erste Etage hinaufstiegen »Wir haben mit einigen Dozenten und Studenten und mit den Mitarbeitern der Akademischen Beratungsstelle gesprochen. Die Protokolle liegen inzwischen vermutlich alle auf deinem Tisch.«
»Die Botschaft möchte von uns einen Bericht über die genaue Todesursache«, erfuhr Brander von Peppi.
Sie gingen in Branders und Peppis Büro. Während sich die anderen noch mit Kaffee versorgten, warf Brander einen unwilligen Blick auf den neuen Stapel, der sich neben den Papieren vom Morgen auf seinem Schreibtisch türmte.
Hendrik kam zu ihm, ließ sich auf den Besucherstuhl fallen und streckte die Beine von sich.
»Was steht da alles drin?«, fragte Brander den Kollegen und zeigte mit dem Finger auf die vor ihm liegenden Protokolle.
»Vockerodt war nett, höflich, unauffällig, zurückhaltend. Er kam bei den Mädels wohl ganz gut an. Da waren einige sehr angetan von ihm.«
»Aber er hatte eine Freundin«, warf Peppi ein.
»Ja und? Deswegen kann er doch mit den Mädels ein bisschen rumschäkern.«
Eine andere Antwort hatte Brander von Hendrik nicht erwartet. Peppi verzog ärgerlich das Gesicht.
»Was hast du noch?«, kam Brander einem Vortrag seiner Kollegin über körperliche und geistige Treue zuvor.
»Ein Dozent meinte, er wäre etwas phlegmatisch.«
»Inwiefern?«
»Langsam, gemächlich, träge. Komm ich heut nicht, komm ich morgen.«
»Sprach er eigentlich gut deutsch?«
»Musste er ja. Um in Deutschland zu studieren, musst du deutsch sprechen. Die Bewerber müssen ihre Sprachkenntnisse vor Beginn des Studiums nachweisen oder eine Sprachprüfung machen. Allerdings, da fällt mir ein …« Hendrik hielt inne.
»Ja?«, hakte Brander nach.
»Gib mal her.« Hendrik deutete auf den Papierstapel. Brander reichte ihn über den Tisch, und Hendrik blätterte durch die Protokolle.
»Hier haben wir es. Aussage Liane Vogd, Kommilitonin, Medizinstudentin erstes Semester: ›Er hatte einen süßen Dialekt. Und war eigentlich immer nett und gut gelaunt.‹ Blabla … blabla … Hier geht’s weiter. ›Einmal gab es Ärger in der Mensa. Da hat so ein Typ Nael angerempelt. Ich glaube, die kannten sich. Der andere hat Nael beschimpft. Nael blieb erst stumm, aber als es ihm zu bunt wurde, hat er zurückgeschimpft. Aber nicht auf Deutsch. Ich vermute, dass es Afrikaans war. Wenn Nael aufgeregt war, dann fehlten ihm oft die deutschen Worte. Das kam auch manchmal in den Vorlesungen vor, wenn er unerwartet etwas gefragt wurde.‹ – Frage: ›Wissen Sie, worum es bei dem Streit ging?‹ – Liane Vogd: ›Nein.‹ – Frage: ›Kennen Sie den Mann, mit dem Nael den Streit hatte?‹ – Vogd: ›Nein, tut mir leid. Ich kannte ihn nicht. Aber vielleicht würde ich ihn erkennen, wenn ich ihn wieder sehe.‹ Tja …«
Hendrik gab Brander die Protokolle wieder zurück. »Soll ich morgen mit Fräulein Vogd in der Mensa essen gehen? Vielleicht taucht der Typ ja auf?«
»Vielleicht keine schlechte Idee. Wir sollten die Risch auch noch befragen. Könnt ja sein, dass die weiß, mit wem Vockerodt Streit hatte.«
Das Klingeln von Branders Handy unterbrach das Gespräch. Brander sah auf das Display, spürte ein unangenehmes Zwicken in der Bauchgegend. »Entschuldigt mich.« Er verließ eilig das Büro und nahm den Anruf entgegen.
»Ja?«
»Hallo, Andi«, meldete sich seine Mutter. Es tat gut, ihre ruhige, vertraute Stimme zu hören. »Wir wollten dir kurz Bescheid geben, dass wir gut in Düsseldorf angekommen sind. Wir waren auch schon in der Klinik.«
»Wie geht’s Babs?« Branders Herz begann automatisch heftiger zu schlagen.
»Ihr Zustand ist stabil. Die Ärzte machen gerade einige Tests mit ihr. Es sieht gut aus.«
Bei diesen Worten fühlte er, wie die Anspannung der letzten Stunden mit einem kräftigen Ruck von ihm wich. Es sieht gut aus. Er stand im Flur, starrte aus dem Fenster, stützte sich mit einer Hand an der Mauer ab. Seine Knie zitterten leicht. Es sieht gut aus. Ihm stiegen
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