Eisblume
die Mutter der Studentin dabei war. Vielleicht konnte sie der jungen Frau bei seiner Befragung ein wenig Halt geben.
»Frau Risch, ich muss Ihnen leider noch ein paar Fragen stellen«, begann er vorsichtig. »Es hat sich herausgestellt, dass es vor dem unglücklichen Sturz Ihres Freundes aller Wahrscheinlichkeit nach eine Auseinandersetzung mit einer anderen Person gegeben hat.«
Jasmin Risch sah ihn mit ausdruckslosem Gesicht an. Brander fragte sich, ob sie ihn überhaupt hörte.
»Gibt es vielleicht jemanden, mit dem Herr Vockerodt einen Streit oder eine Meinungsverschiedenheit hatte?«
Sie machte eine stumme Kopfbewegung, die Brander als ein Nein interpretierte.
»Uns wurde von einer Auseinandersetzung in der Mensa berichtet. Hat Herr Vockerodt Ihnen davon erzählt?«
Er musste sich gedulden, bis Jasmin Risch eine kurze Antwort von sich gab. »Das mit Mike? Das ist doch vorbei …« Sie hauchte die Worte kraftlos in den Raum.
»Mike?«, hakte Brander nach.
»Mike Lüdke«, erklärte die Mutter. »Jasmin und Mike waren einige Jahre befreundet. Er hat damals seinen Zivildienst in einer Klinik in Leipzig absolviert, dabei haben sie sich kennengelernt.«
»Mutter«, protestierte Jasmin Risch schwach.
Frau Risch legte eine Hand auf ihren Arm. »Da ist doch nichts dabei.« Sie wandte sich wieder den Kommissaren zu. »Mike kommt hier aus der Gegend. Sindelfingen, oder?« Sie sah ihre Tochter fragend an.
»Ja«, bestätigte diese widerwillig.
»Nach dem Zivildienst begann er vor drei Jahren sein Studium in Tübingen. Politikwissenschaft und Geschichte?«
»Sport und Politikwissenschaft«, korrigierte Jasmin Risch. »Das ist doch alles vorbei.«
»Das weiß ich ja. Aber wir können es doch trotzdem erzählen. Also, Jasmin folgte Mike nach Tübingen. Sie schrieb sich ebenfalls für Politikwissenschaft ein und studiert außerdem noch Medienwissenschaft. Das ist ein Bachelorstudiengang.« Dies sagte Frau Risch nicht ohne eine Portion Stolz in der Stimme. »Die beiden haben zusammengelebt. Im Herbst letzten Jahres ging Jasmin für ein Praktikum ein paar Monate nach Afrika, und dort lernte sie Nael kennen. Sie kehrte wieder zurück, und als feststand, dass Nael nach Deutschland kommt, hat sie sich von Mike getrennt.«
»Wann war das?«
»Vor fünf oder sechs Monaten«, antwortete Jasmin Risch.
»Könnten Sie uns bitte die Adresse von Herrn Lüdke geben?«, bat Brander.
Jasmin Risch warf ihrer Mutter einen finsteren Blick zu und nannte ihnen die Adresse eines Studentenwohnheims im Wohngebiet Waldhäuser Ost.
Der Schneefall hatte eine Pause eingelegt und den Räumdiensten eine Chance gegeben, die Hauptstraßen von den weißen Massen zu befreien. Die letzten achtundvierzig Stunden mussten sie unaufhörlich im Einsatz gewesen sein. An den Straßenrändern türmten sich abgasverdreckte Schneehaufen, dafür floss der Verkehr wieder ungehindert über den Asphalt.
»Griaß God, Peppi, Andi«, donnerte eine Stimme den Kommissaren an der Eingangstür zur Polizeidirektion entgegen.
»Hallo, Magnus. Du hier und nicht auf deiner Obstwiese?«, erwiderte Brander.
Magnus Neidhart lachte kurz und laut und hielt ihnen die Tür auf. »Ha-noi, da isch au Winter. Da hôt’s grad nix zum schaffe.« Sein Gesicht wurde ernster. »Ihr hen oin dode Afrikaner?«
»Ja.«
»Des’sch ofassbar. Vor drei Monat diese Pranger-Geschicht mit zwoi Dode, nu wird oin Afrikaner erschlage. Da woisch nimmer meh … Hen ihr genug Leut?«
»Kommt drauf an, wie viele Kollegen noch krank werden.«
»Ruf mir an, wenn i ebbes helfe kann.«
»Danke, machen wir.«
Neidhart verließ das Gebäude, während Brander und Peppi Richtung Treppenhaus gingen.
»Ruf mir an. Wann werdet ihr Schwaben endlich lernen, dass das grammatikalisch völlig falsch ist?«, schimpfte Peppi. »Da kräuseln sich mir die Fußnägel.«
»Erstens bin ich kein Schwabe und verwende daher zweitens diese Redewendung nicht, und drittens liegt es jawohl im Auge des Betrachters oder in diesem Fall vielmehr im Ohr der Zuhörerin. Im schwäbischen Dialekt ist ›Ruf mir an.‹ völlig korrekt.«
»Pah. Du kannst mir mal!« Peppi streckte Brander die Zunge raus, der ihr galant die Tür aufhielt. Um ein Haar wäre sie mit Marco Schmid zusammengestoßen. Es war ihr anzusehen, wie unangenehm es ihr war, dass der Staatsanwalt ihre Alberei mitbekommen hatte.
»Frau Pachatourides, Herr Brander, da habe ich ja Glück. Mir wurde gesagt, dass Sie noch unterwegs sind.« Schmid strahlte sie
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