Eisblume
dass sie nach den Sommerferien wieder begonnen hatte, im örtlichen Sportverein Volleyball zu spielen. Es gab dort eine gemischte Freizeitgruppe, die freitagabends regelmäßig trainierte. Die Aussicht, den Abend allein zu Hause verbringen zu müssen, gefiel ihm überhaupt nicht. Er überlegte, Tropper oder Beckmann anzurufen, aber auszugehen hatte er auch keine Lust.
Er streifte die Schuhe von den Füßen, behielt die Winterjacke an, ging ins Wohnzimmer und durchforstete seinen Schrank. Ein fünfzehnjähriger Glenfiddich Solera Reserve stand noch jungfräulich in einer Ecke. Er öffnete die Flasche, schnupperte das fruchtig milde Aroma. Er goss den Whisky großzügig in ein Glas und stellte die Flasche zurück. Dann zog er die Winterschuhe wieder an, setzte seine Strickmütze auf und trat mit dem Glas vor die Haustür. In der Dunkelheit konnte er schemenhaft die schneebedeckten Wiesen erkennen, die sich zum Schönbuch hochzogen. Er prostete der Dunkelheit zu, nippte an seinem Glas, sah dabei die Atemluft, die ihm in kleinen Wölkchen aus den Nasenlöchern stieg. Er behielt den Glen einen Moment lang in der Mundhöhle, bevor er ihn langsam die Kehle hinuntergleiten ließ. Er war etwas überrascht über die Weichheit des Single Malts und den vielfältigen Geschmack. Ein Speyside-Whisky, gereift in Sherry-, Bourbon- und Eichenfässern, erinnerte er sich an das Herstellungsverfahren dieses speziellen Glenfiddichs, das ihm der Verkäufer beschrieben hatte. Das hatte ihn neugierig gemacht, und er hatte im Spirituosenladen dem fünfzehnjährigen vor dem zwölf- und dem achtzehnjährigen Glen den Vorzug gegeben. Er nippte noch einmal an seinem Glas. Hielt es sich auf Augenhöhe, um die rotgoldene Farbe des Getränks im Schein der schalen Außenbeleuchtung seines Hauses zu betrachten. Ein dritter Schluck verschwand in seinem Mund. Fruchtig mit feiner Würze, eine leichte Vanille- und Honignote im Abgang, dachte er mit zufriedener Kennermiene und spürte das wärmende Gefühl des Alkohols.
So stand er eine Weile da, bis die Kälte des schneebedeckten Bodens durch seine Sohlen über die Füße die Beine entlang hochkroch. Er leerte das Glas, dachte an Nael Vockerodt, der aus einem sonnig-warmen Land gekommen war und bei Schnee und Eis seinen Tod gefunden hatte. Und er dachte an das vermisste Mädchen. Wo war sie bei der Kälte untergekommen? War sie tatsächlich einfach nur mal wieder von zu Hause abgehauen? Der Winter war keine gute Zeit, um sich auf der Straße herumzutreiben.
Ganz allmählich begannen wieder dicke Schneeflocken in der Dunkelheit auf die Erde zu fallen.
Samstag
Brander wachte früh auf. Er stahl sich leise aus dem Zimmer, um Cecilia nicht zu wecken, warf in der Küche einen Blick aus dem Fenster. Es hatte aufgehört zu schneien, knapp fünf Zentimeter schienen in der Nacht gefallen zu sein, schätzte er. Er zog sich an und machte sich in der Dämmerung zu Fuß auf den Weg zum Bäcker, grüßte unterwegs die Nachbarn, die ihre Gehwege vom frischen Schnee befreiten.
»So viel Schnee gab es schon lange nicht mehr im Dezember.«
»Bis Weihnachten ist vermutlich alles wieder weg.«
»Das kann ein langer Winter werden.«
Es waren die üblichen Kommentare, die ihn auf seinem Weg begleiteten.
Er kaufte Brötchen und die Tageszeitung, kehrte wieder nach Hause zurück und bereitete das Frühstück vor. Nachdem der Kaffee durchgelaufen war, füllte er eine Tasse und ging damit ins Schlafzimmer. Er hielt die dampfende Tasse vor Cecilias Gesicht. Sie schnupperte mit geschlossenen Augen.
»Hmm, das riecht gut.« Sie öffnete die Augenlider einen Spaltbreit und nahm die Tasse entgegen. Vorsichtig nippte sie an dem heißen Getränk, stellte dann die Tasse auf den Nachttisch und zog sein Gesicht zu ihrem herunter. »Oh, du riechst aber auch gut.« Sie küssten sich. »Und schmeckst lecker. Komm noch ein bisschen kuscheln.«
Das Frühstück konnte warten. Er zog sich aus und kroch zu Cecilia unter die Decke.
»Hendrik fragt, ob wir heute Nachmittag mit ihm und Anne über die chocol ART gehen«, berichtete Brander, als sie einige Zeit später am Frühstückstisch saßen.
»Musst du nicht arbeiten?«, wunderte sich Cecilia und griff nach dem Marmeladenglas.
»Doch, aber ein Stündchen Zeit werde ich mir ja wohl für meine Frau nehmen dürfen.«
»Das heißt, du fährst gleich ins Büro, und wir treffen uns dann später in Tübingen?«
Brander nickte kauend.
»Gut, ich rufe Anne an und verabrede mich mit ihr.
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