Eisblume
nicht durch böse Worte kaputt gemacht werden. Er steht mir noch immer sehr nahe, und er hilft mir auch jetzt.«
Ihre Antwort klang arglos und ehrlich. Sie hegte offensichtlich keinerlei Verdacht gegen ihren Exfreund. Brander sah auf die Kartons an der Wand. »Sind da auch die Sachen von Herrn Vockerodt dabei?«
»Nein, die stehen dort.« Jasmin Risch wies auf zwei Kartons auf der anderen Seite des Raumes. »Ich werde die Sachen seinen Eltern schicken. Sie haben nicht viel Geld. Sie wissen noch nicht einmal, wie sie die … wie sie die Überführung bezahlen sollen. Seine Kommilitonen sammeln Geld. Das würden sie doch nicht tun, wenn sie ihn nicht gemocht hätten.«
Oh doch, dachte Brander, zum Beispiel um das schlechte Gewissen reinzuwaschen, wenn tatsächlich einer von ihnen an der Tat beteiligt war, weil er eifersüchtig auf Vockerodts Chancen bei den Frauen gewesen war. Vielleicht hatte Vockerodt einmal mit dem falschen Mädchen zu heftig geflirtet. Andererseits mochte Jasmin Risch recht haben. In den Gesprächsprotokollen mit den Studenten stand nichts davon, dass einer von ihnen einen Groll gegen den Afrikaner gehegt hätte. »Dürften wir einen Blick in die Kisten werfen?«
»Wonach suchen Sie?«
»Einen persönlichen Kalender, Notizen, Einträge. Irgendetwas, was uns einen Hinweis auf den Täter geben könnte.«
»Das finden Sie in der unteren Kiste. In der oberen sind nur Kleidungsstücke.«
Sie hatten nichts in den Kisten gefunden, was ihnen weiterhalf. Einen Terminkalender besaß Vockerodt anscheinend nicht. In einem Notizbuch hatte er seine Eindrücke von Tübingen festgehalten. Es war in seiner Muttersprache geschrieben, und Jasmin Risch hatte ihnen Teile daraus übersetzt. Brander hatte das Büchlein mitgenommen mit dem Versprechen, es später Nael Vockerodts Eltern zu schicken. Sie ließen sich noch die Leipziger Adresse von Frau Risch geben und machten sich wieder auf den Weg zur Polizeidirektion. Brander starrte aus dem Fenster, während Peppi das Auto durch den Verkehr lenkte.
»Ob der Schnee bis Weihnachten hält?«, fragte er.
»Ich glaube nicht. Maximal noch eine Woche, und dann geht das übliche Schmuddelwetter wieder los«, antwortete Peppi pessimistisch.
»Wäre schön, wenn der Schnee wenigstens bis nächste Woche bleibt, bis zum Weihnachtsmarkt.«
»Oh ja, nächsten Freitag ist doch wieder Feuerzangenbowle am Haagtorplatz«, sagte Peppi begeistert. »Ich war dreimal dort, seit ich in Tübingen wohne, und jedes Mal hat es geregnet.«
In den sieben Jahren, die er mittlerweile Dienst in Tübingen tat, hatte er es noch kein einziges Mal geschafft, zu dieser winterlichen Open-Air-Kinoveranstaltung zu gehen. Es musste ein ganz besonderes Erlebnis sein, auch wenn man nicht unbedingt viel von dem Film sah, weil Schirme und Menschenmassen den Blick versperrten. Aber die meisten Besucher kannten die Komödie mit Heinz Rühmann aus den vierziger Jahren ohnehin zur Genüge und kamen einfach um des Events willen.
»Jeder nur einen wänzigen Schlock«, zitierte Brander den Ausspruch, den selbst Menschen kannten, die den Film noch nicht gesehen hatten. »Wenn nächsten Freitag noch Schnee liegt, geh ich mit Cecilia hin.«
»Dann zieht euch aber warm an!«
»Was machen wir jetzt mit Lüdke?«, fragte Peppi als sie wieder in ihrem Büro in der Konrad-Adenauer-Straße saßen.
»Tja …« Brander lehnte sich zurück und spielte mit einem Kuli. »Er hätte Zeit gehabt. Er hätte ein Motiv …«
»Und er hat die körperlichen Voraussetzungen.«
»Also, dazu brauchte es nicht unbedingt einen Eins-Neunzig-Mann. Wenn du einen Überraschungsangriff startest, ihm eine reinhaust und gleich einen Fußtritt nachlegst, könnte theoretisch auch eine Frau es getan haben.«
»Ich bitte dich!« Peppi verzog das Gesicht.
»Warum sollte es nicht eine Frau gewesen sein?«, beharrte Brander. »Vockerodt war knapp einen Meter achtzig groß, ein schlaksiger Typ. Wie viel Kraft brauchst du da?«
»Aber …«
Brander bremste den Protest der Kollegin mit einer Handbewegung. »Nehmen wir zum Beispiel Jasmin Risch. Sie scheint ihren Navo ja geradezu vergöttert zu haben. Aber er schleicht sich des Nachts immer wieder davon. Rekonstruieren wir den Dienstagabend. Sie sagt, Vockerodt wäre deprimiert gewesen. War er das tatsächlich? Oder hatten die beiden vielleicht Streit? Er haut ab, sie läuft ihm hinterher. Die beiden streiten sich, irgendwann bleibt die Risch wütend stehen. Er dreht sich zu ihr, sie
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