Eisblume
schwör.«
Brander lehnte sich zurück, rieb sich mit einer Hand das Kinn und sah Radeke an, als zweifelte er an dessen Aufrichtigkeit. »Gibt es dafür Zeugen?«
»He?«
»Zeugen. Waren Sie mit jemand anderem zusammen, der bezeugen kann, dass Nathalie Dienstagnacht nicht bei Ihnen war?«
Die Augen des Junkies gingen unruhig hin und her, auch das Beinwippen verstärkte sich. Dann hielt er plötzlich inne und sah den Kommissar an, lediglich sein Kopf begann wieder unkontrolliert leicht zu nicken.
»Ich war zu Hause, wa. Den ganzen Abend. ‘n Kumpel war bei mir.« Er rieb sich mit Daumen und Zeigefinger über den Nasenrücken
»Name?«
»Was ‘n für ‘n Name?«
»Der Name Ihres Kumpels, der bei Ihnen war. Los …« Brander wedelte ungeduldig mit der Hand.
»Niko.«
»Hat Niko auch einen richtigen Namen?«
»Das is ‘n richtiger Name, wa.«
»Vor- und Zuname, Adresse«, erklärte Brander mit unermüdlicher Geduld.
»Nikolai Poljakow, oder so. Weiß nich, wo der wohnt. Irgendwo Stuttgarter Straße. Keine Ahnung. Interessiert mich auch nich, wa.«
Brander war sich zwar sicher, dass Radeke genau wusste, wo Nikolai Poljakow wohnte, aber das würden sie über die Meldedatenbank vermutlich schneller herausfinden als bei dieser Befragung. Er sah auf das Foto vor Hendrik. »Eisblume« stand oben bei den Notizen, die Hendrik sich während des Gesprächs gemacht hatte. Eisblume. Das Wort hatte er doch vor Kurzem noch gehört. Der Fall Vockerodt. Jasmin Risch hatte das Wort in einem Gespräch erwähnt. Vockerodt hatte sie so genannt. Eisblume. Gab es einen Zusammenhang oder war es Zufall? Es gab sicherlich kein alleiniges Nutzungsrecht für dieses Wort.
»Warum haben Sie ›Eisblume‹ gesagt, als wir Ihnen das Foto von Nathalie gezeigt haben?«
»So nennt se sich, wa. Hat jedem erzählt, das wär ihr Name.« Radeke sah zu Brander. »Eisblume. Kalt und schön.« Er grinste schmierig. »Kann ich jetzt gehen? Ich hab noch Termine, wa.«
»Ficken ja, aber nicht küssen«, stieß Hendrik hervor und füllte sich in der Kaffee-Ecke ein Glas mit Wasser. »Was läuft hier falsch in unserer Gesellschaft? Das Mädel ist gerade mal vierzehn.«
»Und sie ist sicherlich nicht die Einzige.«
»Das ist ja das Üble. Mensch, das ist hier doch nicht Frankfurt oder der Hamburger Kiez! Es gibt so viele Anlaufstellen in Tübingen. Wir haben Jugendtreffs, wir haben Jugendhäuser, wir haben spezielle Mädchentreffs. Es gibt Streetworker. Es gibt die Sophienpflege.«
»Alle erreicht man nie,« bremste Brander den aufgebrachten Kollegen. »Der Radeke hat sicherlich auch seine Geschichte. Als er gesagt hat, dass ihm Nathalie leidtat, ich glaube, da war schon ein Funke Wahrheit dran«, überlegte Brander.
Hendrik schnaufte, als wäre er anderer Meinung. »Warum wollte er nicht sagen, wo er Dienstag war? Zu Hause mit einem Kumpel. Das kann der den Fischen im Neckar erzählen!«
»Du solltest das auf jeden Fall so schnell wie möglich überprüfen.«
»Was denkst du wohl, was ich gleich als Erstes machen werde? Wer weiß, was die im Drogenrausch mit der Kleinen gemacht haben.«
Brander war es, als hätte Hendrik ihm die Faust in den Magen gerammt. Er sah das Bild des jungen Mädchens vor sich. »Jetzt mal den Teufel nicht an die Wand.«
»Ich werd hier zum Hirsch!«, empfing ihn Peppi, als Brander wieder in sein Büro zurückkehrte.
»Eher vielleicht zu einer Hirschkuh«, foppte er die Kollegin in Erinnerung an ihre feministische Kleinlichkeit am Vormittag. »Oder vielleicht zu einer Rentierdame?« Er sah auf den stillen Rudolph. Ob Peppi schon bemerkt hatte, dass er die Batterien aus dem Untier entfernt hatte?
»Hast du Hirschkuh zu mir gesagt?«
»Ähm … na ja, der weibliche Hirsch …«
»Du hast Hirschkuh zu mir gesagt!«
»Findest du das jetzt beleidigend?«, fragte Brander und ging umgehend in Deckung, als ihm ein Radiergummi entgegenflog. Er eilte zu seinem Schreibtisch und stellte einen Ordner schützend vor sich. »Liebste Kollegin, warum wirst du denn nun zum … zum elegant springenden Waldtier mit Geweih?«
Peppi bemühte sich, ihn böse anzugucken, konnte sich ein Grinsen dann aber doch nicht verkneifen. »Wie hält Cecilia es nur mit dir aus?«
»Ich glaube, sie liebt mich.« Vorsichtig ließ Brander seinen Aktenschutzwall wieder sinken.
»Es ist einfach niemand zu erreichen! Weder der Dollhofer, noch Mademoiselle Dupont, noch sonst irgendwelche Leute, die ich versucht habe zu erreichen, sind
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