Eisblume
widerlegte Beckmann Branders Ausrede.
»Ich bin halt nicht so ein Supersportler wie du. Was trinkt ihr da?«, lenkte Brander ab und sah misstrauisch auf die zwei Teetassen.
»Ceci hat einen leckeren Kräutertee und ich meinen köstlichen Artemisiatee. Willst du auch eine Tasse?«
Brander zeigte Beckmann einen Vogel. »Ich hab eine andere Medizin.« Er ging grinsend zu seinem Whiskyregal. »Mal sehen, was wir da haben …« Er entschied sich für einen zehnjährigen Talisker.
»Willst du nicht vorher wenigstens eine Kleinigkeit essen?«, empfahl ihm Cecilia.
»Ihr habt schon?«
»Es ist bereits nach neun«, erfuhr er statt einer Antwort auf seine Frage.
Er ging in die Küche und machte sich ein Brot, kehrte damit ins Wohnzimmer zurück.
»Habt ihr Nathalie gefunden?« Die Sorge in Cecilias Stimme war nicht zu überhören.
»Nein, das Mädchen ist wieder abgetaucht.« Ist vielleicht auch besser so, ging es Brander bei der Erinnerung an den Besuch in ihrem Elternhaus durch den Kopf. »Da fällt mir ein, dass ich Daniel noch anrufen wollte! Entschuldigt mich.« Brander stand wieder auf und ging in den Flur.
»Hey, Daniel«, begrüßte Brander seinen Bruder. »Wie geht es dir?«
»Wie soll’s gehen?«, kam es ungewohnt hart von Daniel zurück.
»Ähm … ja … entschuldige. Ich dachte nur … Hat Julian mit dir gesprochen?«
»Ja, hat er.«
Brander hatte gehofft, dass Daniel sich mehr darüber freuen würde.
»Gut … und … wie geht es Babs?«
»Keine Ahnung. Ich darf ja nicht zu ihr. Ich bin hier ja für alle nur noch das große Arschloch.«
»Ähm … was?«
»Julian macht mir Vorwürfe. Unsere Eltern machen mir Vorwürfe. Ihre Eltern machen mir Vorwürfe. Alles meine Schuld. Irgendeiner muss ja der Arsch sein. Warum nicht ich?«
»Daniel … Ich komme da, ehrlich gesagt, gerade nicht ganz mit.«
»Ist auch egal. Aber eins sage ich dir: Ich werde es nicht erlauben, dass Julian vor Beginn der Weihnachtsferien zu euch kommt. Er ist schulpflichtig. Und wenn er krankgeschrieben ist, dann werde ich für ihn sorgen. Ich bin immer noch sein Vater!«
»Ja, natürlich bist du das. Das ist in Ordnung. Er …«
»Ich wollte nur, dass du das weißt.«
»Du wolltest doch, dass ich mit Julian rede. Habe ich irgendetwas …?«
»Ich …« Daniel verstummte. Brander hörte ihn am anderen Ende laut atmen. »Wir sprechen später. Tschüss.«
»Tschüss.« Brander sah verdutzt auf das Telefon. Was war denn jetzt los?
Wortlos setzte er sich neben seine Frau auf das Sofa und goss sich den Whisky in ein Glas. Cecilia und Karsten sahen ihn fragend an.
»Was war los?«, erkundigte sich Cecilia besorgt.
»Ich glaube, Daniel ist gerade mächtig sauer auf mich.«
»Warum?«
Brander hob ratlos die Hände, nahm sein Glas und trank einen Schluck des torfigen Insel-Whiskys. Er schloss einen Moment die Augen, um wieder zur Ruhe zu kommen, ließ den Schluck langsam die Kehle hinuntergleiten. Ganz allmählich breitete sich das scharfe, rauchige Aroma in seinem Gaumen aus.
»Was hat er denn gesagt?«, bohrte Cecilia weiter.
Brander gab das kurze Telefonat mit seinem Bruder wieder.
Beckmann sah ihn nachdenklich an. »Was für ein Problem haben Daniel und Julian denn miteinander?«
»Lange Geschichte«, sagte Brander, und Cecilia berichtete ihm von dem Selbstmordversuch ihrer Schwägerin.
»Kann es sein, dass dein Bruder ein bisschen eifersüchtig ist, weil Julian dir anscheinend so sehr vertraut?«, mutmaßte Beckmann schließlich.
»Wir sind erwachsene Menschen!«, protestierte Brander.
»Na ja, Daniel ist im Moment auch sicher etwas überfordert mit der Situation«, gab Cecilia zu bedenken. »Was für Vorwürfe machen sie ihm denn?«
»Keine Ahnung. Vermutlich, dass er zu wenig Zeit hatte. Das habe ich zumindest bei Julian rausgehört. Aber er ist doch Alleinverdiener in der Familie, und er hat nun mal einen Job, bei dem er ständig unterwegs ist.«
»Du solltest noch mal mit ihm reden«, schlug Beckmann vor.
»Mach ich auch. Aber nicht heute. Für heute ist mein Bedarf an Familienzwist gedeckt. Ich hätte gern einen harmonischen, friedlichen Ausklang des Abends.«
Er nippte noch einmal an seinem Glas, sah Beckmanns sehnsuchtsvollen Blick. »Es ist spiegelglatt auf den Straßen.«
Beckmann verstand sofort. »Bekomme ich Whisky-Asyl?«
»Nimmst du noch Medikamente?«, fragte Brander.
»Nein, ich bin clean – wenn man mal von diesem vorzüglichen Tee absieht.«
Brander stand auf und holte ein zweites
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