Eisblume
Glas.
Donnerstag
Beckmann nahm Brander am nächsten Morgen mit zur Polizeidirektion. So hatte Cecilia, die donnerstags ihren freien Tag hatte, den Wagen zur Verfügung. Die Temperaturen waren milder geworden, und ein leichter Dauerregen hatte eingesetzt. Der Schnee war zu großen Teilen verschwunden, lediglich die zusammengeschobenen Schneehaufen trotzten dem Wetter noch standhaft.
»Sag mal, Becks. Du hast doch damals als Teenager auch Drogen genommen, oder?«, fragte Brander, als Beckmann den Wagen am Straßenrand vor der Polizeidirektion anhielt.
»Wieso ›auch‹? Wer noch?«
»Vergiss das ›auch‹. Also, du hast Drogen genommen?«
Beckmann sah ihn skeptisch an. »Ich hab meine Strafe abgesessen.«
»Darum geht es doch gar nicht. Ich meine, stell dir mal vor, du bist … sagen wir mal Anfang zwanzig. Du hättest eine Freundin, und die kommt zur dir, weil die Riesenbockmist gebaut hat. Was würdest du tun?«
»Andi, was für eine Freundin? Ich bin schwul und habe mit fünfzehn zum ersten Mal einen Schulkameraden verführt.«
»Herrje, dann kommt eben ein Freund zu dir.«
Beckmann blickte durch die Frontscheibe in die Ferne. Es sah nicht so aus, als fiele es ihm leicht, an seine Vergangenheit zu denken. »Also, zu der Zeit, zu der ich richtig drauf war, da hab ich echt nur an mich gedacht.« Er sah zu Brander. »Von was für einem Bockmist reden wir denn?«
»Kann ich dir nicht sagen.«
Beckmann dachte eine Weile nach, bevor er antwortete. »Ich will mal so sagen: Ich war völlig unzuverlässig und total egoistisch. Wenn mir einer blöd kam, gab’s was auf die Fresse. Ich glaub, ich war gar nicht fähig, einen richtigen Freund zu haben. Wenn da jemand mit Problemen zu mir gekommen wäre, dem hätte ich ‘nen Joint angedreht, und die Welt wäre wieder schön gewesen. Oder ich hätte ihn zum Teufel geschickt, weil ich mit dem Mist nichts zu tun haben wollte.«
»Hm«, machte Brander nachdenklich.
»Das hilft dir nicht weiter, oder?«
»Nicht wirklich. Trotzdem danke.« Brander legte die Hand auf den Türgriff, hielt inne und drehte sich noch einmal zu seinem Kumpel um. »Hast du heute eigentlich manchmal noch den Drang, was zu nehmen?«
Wieder ließ Beckmann sich Zeit. Sein Kiefer war angespannt und die Augen musterten Brander aufmerksam, als er antwortete. »Selten. Manchmal, wenn ich einsam bin, denke ich, dass jetzt ein Joint gar nicht schlecht wäre.«
»Und was machst du dann?«
»Dann zieh ich meine Laufschuhe an und renn so lange, bis es vorbei ist.«
»Du weißt, dass Ceci und ich immer für dich da sind.«
Beckmann lächelte angestrengt. »Steig aus, oder ich fang an zu heulen.«
»Jens, was hat sich bei euch gestern ergeben?«, begann Brander kurz darauf die morgendliche Sitzung.
»Was wir von Freunden und Kommilitonen gehört haben, bestätigt die Aussagen von Dollhofer und Dupont. Die Beziehung scheint sehr stabil und Eifersucht kein Thema zu sein. Es gibt wohl auch schon Heiratspläne bei den beiden. Sie kommen beide hier aus der Gegend, Michelle Dupont wohnt ja auch noch bei ihren Eltern. Roman Dollhofer kommt aus Sindelfingen. Daher kennen Lüdke und er sich auch. Sie waren beide am Goldberg Gymnasium und haben gemeinsam im Sportverein Basketball gespielt. Dollhofer hat nur noch eine Mutter, aber mit der scheint er sich ganz gut zu verstehen. Sein Vater starb an Krebs, als er sechzehn war. Wir sind auch mal die Strecke vom emka zum Tatort abgefahren. Er hätte zügig fahren müssen, um rechtzeitig dort zu sein, und ihr wisst ja selber, wie das Wetter vor einer Woche war.«
»Also können wir Dollhofer als Täter ausschließen?«, überlegte Brander laut.
»Wenn du mich fragst, ja.« Peppi sah zu Jens, der bestätigend nickte.
»Das bedeutet, wir knöpfen uns Lüdke noch einmal vor«, resümierte Brander. »Hendrik, irgendwas Neues von Nathalie?«
»Nothing.« Der Kollege hob bedauernd die leeren Hände.
Brander berichtete dem Team von dem Besuch bei Nathalies Mutter.
»Dia Jonge deand, was se bei de Alde seahnt«, kommentierte Magnus Neidhart die Geschichte. »Desch Mädle muaß in a Pfleg’familie.«
»Falls sie nicht direkt in den Jugendknast wandert«, prophezeite Hendrik.
»Ha-noi. Meinsch, die hôt’s doa?«
Hendrik zuckte ratlos die Achseln.
Brander versuchte, Mike Lüdke anzurufen, erreichte ihn aber weder auf dem Festnetz noch mobil. Vermutlich saß er gerade in einer Vorlesung.
»Habt ihr eigentlich auch mal mit der Nachbarin von der Risch gesprochen?«,
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