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Eisblume

Eisblume

Titel: Eisblume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sybille Baecker
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Tochter ins Wort. Giulia erwiderte etwas, woraufhin ihr Vater in strengerem Ton fortfuhr.
    Sie wandte sich wieder Brander zu: »Papa sagt, wir haben niemanden gesehen und nichts gehört. Wir kümmern uns nicht um ihn.« Sie deutete unbeholfen auf die Nachbarwohnung. »Er sein kein guter Mensch, sagt Papa.«
    »Vielen Dank … ähm … Grazie, Signorina .« Brander lächelte Giulia an. Signore Angelosanto brummte irgendetwas in seiner Landessprache und schob seine Tochter in die Wohnung.
    »Giulia Angelosanto. Was für ein klangvoller Name«, schwärmte Hendrik, während sie zu ihrem Wagen zurückkehrten.
    »Lass uns zu Nathalies Eltern fahren.«
    »Was willst du da?«
    »Ich wüsste gern, wo sie gestern waren, als ich versucht habe, sie anzurufen, und ich möchte mir mal Nathalies Zimmer ansehen.«
    Eine Alkoholfahne schlug ihnen entgegen, als Nathalies Mutter die Tür öffnete. Eine kleine, stämmige Frau mit dicken Tränensäcken unter den Augen. Sie trug Jogginghose und ein langes Shirt, das über der Körpermitte spannte. Das dunkle Haar war ungewaschen und zu einem nachlässigen Zopf zusammengebunden.
    »Ja?«
    »Frau Böhme, meinen Kollegen Herrn Marquardt kennen Sie ja schon.« Brander deutete auf Hendrik. Die Frau sah Hendrik an, als könnte sie sich nicht mehr an die Begegnung im Bowlingcenter erinnern. »Ich bin Kriminalhauptkommissar Brander. Dürften wir bitte kurz hereinkommen?«
    »Haben Sie Nathalie gefunden?« Sie machte keine Anstalten, die Beamten in ihre Wohnung zu lassen.
    »Sie wurde gesehen«, erklärte Brander. Er drehte den Kopf ein Stück zur Seite, suchte Frischluft. Die Frau war sturzbetrunken.
    »Und wo ist sie?« Gudrun Böhme sah an Brander vorbei, als erwarte sie, dass Nathalie sich hinter seinem Rücken versteckt hätte.
    »Vermutlich irgendwo im Raum Stuttgart. Hat Nathalie irgendwelche Freunde oder Verwandte in Stuttgart?«
    »Was weiß ich, mit wem die sich rumtreibt.« Die kräftige Figur schwankte leicht im Türrahmen hin und her.
    »Sie sind ihre Mutter«, sah Brander sich bemüßigt, sie an ihre Rolle in der Angelegenheit zu erinnern.
    Die Frau sah ihn mit halb geschlossenen Lidern an. Fahle, gelbliche Haut verlief faltig über das Gesicht. Sie sah nicht gesund aus.
    »Schon lange nicht mehr.«
    »Frau Böhme, ich möchte mir gern Nathalies Zimmer ansehen.«
    »Es ist nicht aufgeräumt.«
    »Das macht nichts.«
    Nur widerwillig gab Nathalies Mutter den Weg frei. Brander hatte gedacht, dass Nathalies Zimmer nicht aufgeräumt wäre, aber sie hatte wohl die gesamte Wohnung gemeint. Bier- und Schnapsflaschen standen im Flur, im Wohnzimmer und in der Küche. In der Spüle stapelten sich schmutziges Geschirr und leere Verpackungen von Tiefkühlgerichten. Die Wohnung war muffig und überheizt, und Brander spürte das dringende Bedürfnis, ein Fenster aufzureißen. Die Frau deutete auf eine Zimmertür, ging selbst ins Wohnzimmer und setzte sich auf ein altes, verschlissenes Sofa.
    Während Brander in das Zimmer der Tochter ging, folgte Hendrik Frau Böhme ins Wohnzimmer und bat darum, ein Fenster öffnen zu dürfen.
    In Nathalies Zimmer erwartete Brander eine Überraschung. Es war aufgeräumt. Auch wenn das Bett nur zurückgeschlagen war, so waren doch die Kleidungsstücke einigermaßen ordentlich in einem Regal verstaut. In einem anderen Regal lagen ihre Schulsachen. Das riesige Poster eines amerikanischen Trucks vor einem Gebirgszug mit Sonnenuntergang hing über dem Bett. Brander sah sich verwundert um. Dieses Zimmer passte überhaupt nicht zu dem Mädchen, dem er in Stuttgart begegnet war. Er öffnete eine Schublade ihres Nachttisches und war fast erfreut, ein Chaos aus Bildern, Zetteln und Schminkutensilien vorzufinden. Er zog ein paar Papiere heraus und setzte sich auf das ungemachte Bett.
    Ein Blatt war vollgeschmiert mit einem einzigen Wort: HASS . Mal groß, mal klein geschrieben, mal rot, mal schwarz, mal dicke, bauchige Buchstaben, mal eckig und kantig. Als hätte sie ausprobiert, die richtige Form für dieses Wort zu finden.
    Auf den anderen Zetteln waren kurze Texte, Gedanken in Versform geschrieben:
    »Eiskalt möchte ich sein.
    Wie ein Stein.
    Hart und ohne Gefühle.
    Ihr könnt auf mich treten.
    Aber ich spüre nichts.
    Niemand. Niemand wird mich erweichen.
    Keine Tränen werde ich mehr weinen.
    Eiskalt wie ein Stein.«
    Brander spürte eine stille Betroffenheit. Er erinnerte sich an den Text, den ihr Klassenlehrer ihm gegeben hatte. Sie konnte mit Worten umgehen, auch

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