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Eisblume

Eisblume

Titel: Eisblume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sybille Baecker
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wenn er davon am Tag zuvor wenig bemerkt hatte. Sie war in der Lage, ihre Gefühle auszudrücken, aber anscheinend wollte sie nicht, dass jemand anderes etwas von diesen Gefühlen erfuhr. Sie wollte sich lieber verstecken – unter einem großen Tuch. Hart werden. Kalt wie ein Stein. Man kommt meistens zu spät, echoten die Worte von Ebru Iscan in seinem Kopf. War diesem Mädchen noch zu helfen?
    Er las den nächsten Zettel:
    »Wenn nur ein Mensch mich lieben würde,
    wäre das Leben lebenswert.
    Ich liebe Ricky.
    Aber Ricky will nur ficken.«
    Ricky. Patrick Radeke. Er stellte sich vor, er hätte eine Tochter, die sich in so einen Mann verliebt hätte. Was würde er tun? Energisch schüttelte er den Kopf, um die Gedanken loszuwerden. Nathalie Böhme war ein Vermisstenfall. Mehr nicht. Brander legte die Zettel wieder zurück und sah sich die Bilder in der Schublade an. Die meisten waren Bilder aus Zeitschriften, viele zeigten amerikanische Trucks und Lkws. Dazwischen lag ein Fotostreifen, der anscheinend mit einem Passbildautomaten erstellt worden war. Zwei Gesichter waren darauf, die lachend Fratzen zogen. Nathalie Böhme und Patrick Radeke. Er nahm den Streifen heraus. Auf der Rückseite stand »Ricky«, und ein Herz war darum gezeichnet.
    Gab es vielleicht doch eine engere Beziehung zwischen diesen beiden verlorenen Menschen? Nathalie schien in diesen Junkie verliebt zu sein. Was war mit Radeke? Schätzte er den Mann falsch ein?
    Brander verließ das Zimmer, stieß im Flur gegen eine leere Wodkaflasche, die scheppernd über den Boden rollte. Er stellte sie wieder auf und ging zu Hendrik ins Wohnzimmer.
    Frau Böhme hatte ein Glas mit einer braunen Flüssigkeit vor sich, die definitiv kein dünner Kaffee war. Hendrik sah Brander genervt an. Durch seine Lüftungsaktion ging zumindest ein frischer, kalter Zug durch den muffigen Raum.
    »Frau Böhme, kennen Sie Patrick Radeke?«
    »Wer soll das sein?«
    »Ein Freund Ihrer Tochter. Sie nennt ihn Ricky.«
    »Die hat viele Freunde. Heut den, morgen den. ‘n kleines Flittchen ist se geworden.«
    »Frau Böhme, reißen Sie sich ein bisschen zusammen.« Brander riss der Geduldsfaden. »Es geht um Ihre Tochter. Sie werden ja wohl irgendetwas über Ihre Tochter wissen!«
    »Sie schwänzt die Schule, sie prügelt sich, sie klaut und sie hurt rum. Lehrer, Jugendamt und Polizei gehen hier ein und aus wegen der.« Sie leerte in einem Zug das Glas, wobei ein paar Tropfen aus ihrem Mundwinkel über ihr Kinn liefen. Sie wischte sie mit dem Handrücken weg. »Ich komm nicht mehr mit der klar. Aber mir hilft ja auch keiner!«
    »Wir melden uns, wenn wir Ihre Tochter gefunden haben.« Brander forderte Hendrik mit einem Kopfnicken zum Aufbruch auf. Fast fluchtartig verließ dieser die Wohnung.
    »Luft!« Hendrik atmete tief durch, als käme er von einem langen Tauchgang. »Ich hab gedacht, ich erstick da drin.« Er holte noch einmal tief Luft und stieß sie dann mit einem lauten Seufzer wieder heraus. »Glaubst du mir jetzt, dass es der Mutter scheißegal ist, was mit ihrer Tochter ist?«
    Brander sah Hendrik traurig an. »Das Mädchen braucht Hilfe.«
    »Pfff. Wenn du mich fragst, kommen wir da leider zu spät.«
    Am frühen Abend hatte leichter Regen eingesetzt, der auf dem kalten Boden gefror und zu gefährlicher Straßenglätte führte. Mit Tempo dreißig fuhr Brander in einer langen Autokolonne über die B 28 von Tübingen nach Entringen und war verwundert, Beckmanns Auto vor seinem Haus stehen zu sehen. Er fand Karsten und Cecilia im Wohnzimmer bei einer Tasse Tee.
    »Ich denke, du bist krank?«, begrüßte er Beckmann, während er Cecilia einen flüchtigen Kuss auf die Wange gab.
    »Geht schon wieder«, sagte Beckmann. Seine Stimme klang noch heiser, aber ansonsten wirkte er tatsächlich wieder einigermaßen fit.
    »Ich war nach der Arbeit bei ihm, um zu schauen, wie es ihm geht«, erklärte Cecilia, »und da hat er mir angeboten, mich nach Hause zu bringen.«
    »Warum muss deine Frau eigentlich mit Bus und Bahn fahren, während du so ein tolles Fahrrad in der Garage stehen hast und das Auto gar nicht bräuchtest?«, erkundigte sich Beckmann mit tadelndem Blick. Er wusste zu gut, was für ein hervorragendes Fahrrad Brander besaß – es hatte seinem verstorbenen Ehemann gehört, und Beckmann hatte es Brander vor wenigen Monaten geschenkt.
    »Falls es dir entgangen ist. Wir haben Winter. Es liegt Schnee und Eis auf den Straßen.«
    »Schon mal was von Spikereifen gehört?«,

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