Eisblume
weißte, was der sagt? Der sagt, ich soll mich verpissen! Motzt mich voll an. Er hätte keinen Bock auf so ‘ne Heulsuse, hätt keine Zeit und all so ‘n Kack. Ey, Mann, ich wusste nicht wohin! Ich hab total gefroren. Ich hab ihn echt angebettelt, dass er mich bei sich pennen lässt. Und dann kommt sein scheiß Itaker-Nachbar auch noch und quatscht was von Polizei rufen und so ‘n Scheiß. Und weißte was? Sein verfickter Kumpel baut sich vor mir auf, knallt mir eine und schubst mich aus ‘m Haus. Und Ricky, der Schlappschwanz, der macht nix! Ich war echt fertig. Ey, der Ricky hat mich sonst nie hängen lassen!«
»Was war das für ein Kumpel?«
»Irgend so ein Kackrusse.« Sie drehte ihr Gesicht ein Stück zur Seite, zeigte auf einen Kratzer an ihrer Schläfe. »Hier, hat mir voll ins Gesicht geschlagen, die Sau.«
»Und das war Rickys Kumpel?«
»Sag ich doch!«
»Weißt du, wie der heißt?«
»Warum? Sperrst du den Pisser ein?« Sie sah ihn hoffnungsvoll an.
»Sag mir einfach seinen Namen«, wich Brander einer Antwort aus.
»Ich glaub, Niko oder so.«
Niko. Nikolai Poljakow.
»Da warst du sicherlich ziemlich sauer, als der dich so rausgeschmissen hat, oder?«, versuchte Brander unverfänglich, ihren Bericht wieder voranzutreiben.
»Kannste aber einen drauf lassen! Ich war echt stinksauer. Ey, was sollte das? Ich dachte, der Ricky mag mich, und dann schaut der zu, wie der Kackrusse mir eine knallt!«
»Hast du danach noch mal bei Ricky geklingelt?«
»Nee.«
»Also bist du doch nach Hause gegangen?«
»Spinnst du? Ich wollt nicht nach Haus zu den verschissenen Alten. Ich bin zum Bahnhof gerannt. Ey, meinst du, da fuhr noch irgendein Kackzug? Tote Hose! Bin dann getrampt bei dem Scheißwetter. War rattenkalt. Aber ich hat Glück, ey. So ‘n alter Knacker hat mich bis nach Stuttgart mitgenommen.«
»Und was hattest du in Stuttgart vor?«
»Nix. Wollt nur weg aus Kacktübingen. Hätt mir ein paar Euros zusammengebettelt, und dann ab nach Amerika.«
Brander saß eine Weile schweigend neben dem Mädchen. Sie lag still in ihrem Bett, spielte mit dem Rüssel des Elefanten, der unter der Decke hervorlugte. Sie schien sich tatsächlich ein wenig entspannt zu haben, nicht mehr ganz so auf Konfrontationskurs zu sein. Vielleicht hatte es ihr gutgetan, ihre Geschichte jemandem zu erzählen. Er fragte sich, warum sie sich gerade ihn dazu auserkoren hatte, und spürte ein diffuses Gefühl von Sorge um dieses junge Mädchen.
»Nathalie, stimmt das, was du mir gerade erzählt hast?«
»Ey, ja, logisch. Warum denken immer alle, dass ich lüge, ey? Vielleicht hätte ich der Chantal nicht in die Fresse hauen sollen. Aber müssen die mich deswegen gleich von der Schule schmeißen?«
Er griff nach der bandagierten Hand des Mädchens. »Da sprechen wir noch mal mit deinem Lehrer, und vielleicht entschuldigst du dich bei dieser Chantal.«
»Aua! Ey, ich bin verletzt, Alter.« Auf ihrem Gesicht deutete sich dennoch ein zaghaftes Lächeln an. Verwundert und vielleicht auch ein wenig dankbar für die freundliche Geste, die sie nicht erwartet hatte.
»Ich bin immer noch Herr Brander.«
»Klar, tat trotzdem weh.«
»Entschuldige.« Brander zog die Hand wieder zurück. »Wir brauchen deine Aussage, Nathalie. Ich spreche mit den Ärzten, wann du hier rauskommst. Und dann kommst du zu mir in die Polizeidirektion, damit wir deine Aussage protokollieren können.«
»Warum das denn? Ich hab dir das doch alles jetzt erzählt.«
»So ist das halt bei den Bullen.«
»Fuck.«
Er saß unschlüssig neben ihrem Bett. Einerseits drängte es ihn hinaus, um das, was das Mädchen ihm erzählt hatte, in Ruhe zu durchdenken, andererseits fiel es ihm schwer, Nathalie allein zu lassen. Wie verlassen musste sich diese Kleine fühlen? Er konnte sich nicht vorstellen, dass es der Mutter so egal war, was mit ihrer Tochter war. Gab es denn wirklich niemanden, der sich um das Mädchen sorgte?
»Brander«, drang ihre Stimme leise in seine Gedanken ein. Er sah zu ihr. Nathalie musterte ihn stumm. Die Wut, die Aggressivität war in diesem Augenblick verschwunden. In diesem Augenblick war sie ein vierzehnjähriges Mädchen, das sich zu fragen schien, ob sie diesem Typ mit den Geheimratsecken und Falten um Augen und Mund wirklich vertrauen konnte.
»Ich hatte ‘ne scheiß Angst heut Nacht.« Es fiel ihr schwer, so ehrlich zu sein, aber sie brauchte offensichtlich jemanden, dem sie sich anvertrauen konnte. Vielleicht jemanden, der ihr
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