Eisblume
wiederholte er seine Frage.
Sie sah Brander mit großen Augen an. »Warum das denn?«
»Es ist Ihre Tochter!«
»Ach was, die macht doch eh, was se will. Walter hat schon recht.«
»Sie ist ein Kind. Sie braucht eine Mutter.«
»Was wissen Sie denn schon? Nathalie braucht mich nicht. Die kommt doch nur nach Hause, wenn sie keinen anderen Platz zum Pennen gefunden hat. Die ist wie ihr Vater!«, fuhr die Böhme Brander wütend an. Sie deutete auf das zerrissene Poster. »Der kam auch einfach vorbei, macht mir ‘nen dicken Bauch und verpisst sich wieder mit seinem Scheißtruck. Falschen Namen hat er mir gesagt. Falsche Adresse. Und ich steh da mit dem Balg. Keinen müden Cent hab ich von dem Kerl gesehen. Und Nathalie himmelt diesen Dreckskerl an. Das ist ein Arschloch, ein verfluchtes, feiges Arschloch. Den Schwanz reinstecken und sich dann verpissen. Was anderes können die Kerle doch nicht.«
»Aber da kann Ihre Tochter doch nichts dafür.«
»Ha! Hier, schauen Sie!« Sie riss die Nachttischschublade auf, warf den Inhalt auf den Boden. »Lkw fahren will sie, wie ihr Vater. Wie ihr verfluchter Vater!«
Da war so viel Wut in ihrer Stimme, dass Brander eine Gänsehaut bekam. Er fragte sich, ob sie jemals einen Blick auf die beschriebenen Zettel geworfen hatte, anstatt nur die Bilder der Trucks zu verdammen. Er hob die Zettel auf, nahm einen, den er schon beim ersten Mal gelesen hatte, hielt ihn ihr hin.
Sie sah ihn verständnislos an.
»Was soll ich damit?«
»Lesen.«
Sie schüttelte den Kopf, wandte den Blick ab. Entweder konnte oder wollte sie nicht lesen, was da stand.
»Dann lese ich es Ihnen vor: ›Wenn nur ein Mensch mich lieben würde, wäre das Leben lebenswert.‹« Den zweiten Teil des Vierzeilers ließ er aus. »Das hat Ihre Tochter geschrieben. Ihre vierzehnjährige Tochter!«
Gudrun Böhme begann wieder zu weinen. »Was soll ich mit der denn machen?«, herrschte sie Brander an. »Ich habe mir mein Leben auch anders vorgestellt! Denken Sie, ich hatte keine Träume? Ich hatte andere Pläne für mein Leben. Oh ja, ich hatte ganz andere Pläne! Liebe! Was ist das schon? Ich hab auch ein Recht auf Liebe! Was kann ich dafür, dass sie sich mit Walter nicht versteht? Aber ich bin ja immer nur die böse Mutter, die blöde Schlampe. Wissen Sie, wie viel Ärger ich mit der schon hatte? Schule, Jugendamt, Polizei. Es interessiert die doch einen Scheiß, was ich sage. Was soll ich denn machen?«
»Sie könnten damit anfangen, diesen Saustall hier aufzuräumen und sich endlich einmal um Ihre Tochter kümmern!«
»Was wissen Sie denn schon?« Sie schüttelte verbittert den Kopf. »Ihr habt doch alle keine Ahnung!«
Brander legte die Zettel wieder zurück in die Schublade. »Packen Sie uns bitte saubere Kleidung für Nathalie ein. Sie braucht auch Schuhe und eine Jacke.«
»Ey, guck mal, da kommt der gute alte Brand…« Die letzte Silbe blieb Nathalie im Hals stecken, als sie sah, dass Brander nicht allein war. Eilig versteckte sie den Plüschelefanten unter ihrer Bettdecke.
»Wer ist ‘n die Tussi?« Misstrauisch starrte sie Peppi an. »Ist das wieder so eine Sozialtussi? Ey, ihr könnt mich mal mit eurem verfickten Jugendamt. Ich geh nicht in irgend so eine scheiß Wohngruppe.«
»Jetzt bleib mal ruhig, Nathalie. Diese Frau ist meine Kollegin Kriminalhauptkommissarin Pachatourides«, erklärte Brander. Es ärgerte ihn, dass Nathalie gleich wieder auf Konfrontationskurs ging.
»Ey, Scheiße, ich schwör, ich geh nicht …«
»Nathalie!«
»Wo ist ‘n deine Frau? Weiß die, dass du hier mit ‘ner anderen rumziehst?«
Brander verdrehte die Augen zur Decke. Er legte die Tüte, die er mitgebracht hatte, auf ihr Bett. »Hier ist saubere Kleidung. Geh bitte ins Bad, wasch dich und zieh dich an. Wir nehmen dich mit.«
»Was ist mit meiner Mutter?«
»Die wartet zu Hause auf dich.«
Es schien, als würde das Mädchen einen Moment lang den Atem anhalten. Wut und Enttäuschung zeichneten sich in ihrem Gesicht ab, kämpften um die Vormacht. Die Wut gewann. »Die ist wieder besoffen, oder? Die alte Fotze hat sich wieder volllaufen lassen! Ey, die ist so scheiße! Scheiße! Scheiße! Scheiße!« Sie schlug wütend mit der Faust auf ihr Bett. »Die soll verrecken! Die soll … die soll …«
»Hey«, Brander griff nach dem Arm, der wieder zu einem Schlag ansetzte. »Hör auf. Hör auf damit, okay? Steh jetzt auf, wasch dich und zieh dich an.«
Sie presste zornig die Lippen zusammen und sah Brander
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