Eisblumen - Ein Altmarkkrimi (Judith Brunners zweiter Fall) (German Edition)
Bruno Michaelis von seinem Konto abgehoben hatte – von den Spekulationen um die Herkunft von so viel Geld ganz zu schweigen – , um die Errichtung seines neuen Mastes bezahlen zu können, inklusive der Instrumente zur Messung der Windrichtung, Windgeschwindigkeit und Sonnenscheindauer. Aber letztlich schien allen diese Macke dann doch zu harmlos, um wirklich ins Gewicht zu fallen, und so kamen sie mittlerweile ganz gut miteinander aus. Bei manchen schlug die Skepsis sogar mehr und mehr in vorsichtige Neugier um.
Walter Dreyer hatte sich telefonisch bei Bruno Michaelis angemeldet. Er kannte den Hobbymeteorologen nur vom Hörensagen. Ein allein lebender, etwas stämmiger, trotzdem nicht unansehnlicher Mann.
Für einen Polizisten wurde Dreyer ungewöhnlich herzlich in Empfang genommen; offenbar fühlte sich Michaelis geehrt, dass sich jemand Amtliches für seine Wetteraufzeichnungen interessierte.
Walter Dreyer reagierte freundlich. »Vielen Dank, dass ich heute Abend zu Ihnen kommen durfte. Es ist schließlich Wochenende.«
»Ach«, wehrte der Meteorologe ab, »ich muss um zehn sowieso noch mal raus zum Messen.« Er führte seinen Besuch in ein kleines Arbeitszimmer, das mit geerbten oder gebraucht gekauften Möbeln eines Herrenzimmers ausgestattet war, Nussbaum dunkel. Hinter der mittleren Glastür des Bücherschranks konnte Dreyer Unmengen von Broschüren und benutzten Schreibheften in verschiedenen Formaten erkennen, die sich dem Bemühen, sie geordnet aufzustellen, überwiegend widersetzt hatten und zu Haufen weggerutscht waren. Die gebundene Fachliteratur verbarg sich wahrscheinlich hinter den beiden seitlichen Holztüren des Schranks, jedenfalls waren keine Bücher zu sehen.
Bruno Michaelis bot Walter Dreyer einen Lehnstuhl neben seinem voluminösen Schreibtisch an und setzte sich selbst auch. »Es geht sicher um Ihre Wasserleiche?«
»Hier bleibt nichts lange verborgen, was? Ich würde gern das genaue Wetter der letzten Tage erfahren. Wir möchten wissen, wann der Dorfteich in Waldau zugefroren ist und wie dick das Eis an jedem Tag war.«
Michaelis ließ ihn kaum ausreden und begann sofort, in seiner Kartei zu blättern. »Seit zwei Wochen haben wir nachts starken Frost, das reicht, um unsere Teiche hier in der Gegend gut zufrieren zu lassen. Das würde sogar für kleine Fließgewässer reichen.«
»Sie kennen den Waldauer Dorfteich? Er ist nicht groß.«
»Schön formuliert, wirklich«, bemerkte Michaelis spöttisch, »er ist eher eine Pfütze, glauben Sie mir.«
Auch Walter schmunzelte. »Er ist unser ganzer Stolz. Wir haben nur den einen, und damit ist es unser schönster Teich. Wann, meinen Sie, ist er so zugefroren gewesen, dass er einen erwachsenen Mann mit schwerer Last tragen würde?«
Bruno Michaelis war nicht dumm und verstand sofort, welche Last da gemeint war, ging aber nicht weiter darauf ein und überlegte: »Hm, Ihr Teich hat einen Zufluss und einen Abfluss, den Bach, der dann weiter durch den Gutspark fließt. Da ist immer ein ganz klein wenig Bewegung im Wasser. Extremen Frost gab es lange genug. Also: Vor einer Woche war der Teich völlig zugefroren.« Michaelis schloss die Augen einen Moment und meinte dann bestimmt: »Stark genug für Ihren Mann ›mit Last‹ war das Eis mit Sicherheit ab der Nacht vom Montag zum Dienstag, vielleicht auch schon in der Nacht zuvor.«
»Nur mal so, gibt es da eine einfache Regel zur Berechnung?«
»Eine Eisdecke muss ungefähr 12-15 cm dick sein, dann hat sie eine Tragkraft von 1000 Kilo pro Quadratmeter. Aber eine Eisdecke ist nicht überall gleich stark, am Zulauf vom Bach ist sie sicher dünner.«
Dreyer hoffte, dass Thomas Ritter entsprechende Messungen vorgenommen hatte. »Und ein kleines Kind mit einem Fahrrad müsste das Eis dann erst recht tragen«, überlegte er laut. »Ganz schön dick, das Eis auf unserem Teich.«
Michaelis lachte ihn aus. »Was denken Sie! Auf dem Baikalsee gibt es Eisdecken von mehreren Metern Dicke! Hier, erst letzten Monat hatten sie dort über zwei Meter!«
Zum Beweis suchte er aus einem riesigen Stapel bunter Briefumschläge, auf denen Walter Dreyer flüchtig verschiedene ausländische Marken erkannte, einen dicken Luftpost-Umschlag heraus und entnahm einige Fotografien mit beeindruckenden Wintermotiven. Michaelis korrespondierte offenbar mit Gott und der Welt über Temperaturschwankungen und Niederschlagsmengen.
»Ein ganz flacher Teich könnte also völlig zufrieren?« Walter führte kurz zum Thema
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