Eisblumen - Ein Altmarkkrimi (Judith Brunners zweiter Fall) (German Edition)
Leute sind dankbar, wenn sie – oft nach Jahrzehnten – Gewissheit haben, was ihren Verwandten widerfahren ist. Manchmal findet sich sogar noch ein Foto oder ein eigenhändiger Brief. Wir helfen im Archiv mit, Kriegsverbrechen aufzuklären oder Leute zu identifizieren. Es kommt dabei nicht auf freundliche Akteninhalte an, Walter, historische Forschungen und Archivarbeit sind keine Folklore.«
»Und diesen Abstand zu deiner Arbeit kriegst du immer hin?«
Laura lehnte sich in ihrem Sessel zurück und sah ihn traurig an. »Nicht immer. Bei Weitem nicht. Dann musst du mit den Dingen, die du herausgefunden hast, irgendwie fertig werden. Aber das kennst du ebenfalls. Du musst das doch auch schaffen bei euren Ermittlungen.«
Walter goss sich eine gehörige Portion Rum in sein leeres Teeglas und trank. »Erzähl Judith davon. Aber bitte erst morgen.«
Ein paar Stunden später fuhr Judith Brunner nach Waldau zurück. Sie hatte alle Berichte noch einmal durchgesehen und es außerdem geschafft, gemeinsam mit Lisa Lenz den Besprechungsraum weiter einzurichten und die Unterlagen zu systematisieren. Aber mit den bisherigen Ermittlungsergebnissen war sie nicht zufrieden. Sie hatte hier einen Fall mit mehreren Tatorten – den Parkplatz in »Feine Sache«, wo vielleicht der Unfall mit Wolff passiert war, dann die Bank am Wiepker Feuerlöschteich, wo er erschlagen und den Teich in Waldau, wo er versenkt worden war. Sie hatten bisher keine Hinweise, wo der Leichnam die zwei Tage zuvor versteckt gewesen sein könnte. Sie hatten weder ein Motiv noch einen wirklich Verdächtigen für den Mord. Und es gab überhaupt noch nichts zum Mordversuch an Fritzi Bauer. Das gefiel ihr alles nicht.
Von ihrem Start in Gardelegen einmal abgesehen. Ihr hatte bisher die Zeit gefehlt, die Mitarbeiter und die Dienststelle etwas kennenzulernen. Um eine eigene Wohnung konnte sie sich auch noch nicht kümmern. Alles fühlte sich an, als wäre sie nur zu Besuch da. Und es sah im Moment nicht danach aus, als ob sie in den nächsten Tagen daran etwas würde ändern können.
Sie stellte gelassen fest, dass ihr all das augenblicklich ziemlich egal war. Judith dachte an Walter, lauschte all den wenigen Worten nach, die er ihr je zugeflüstert hatte. Und plötzlich durchströmte sie ein Hochgefühl und der lange Tag fiel von ihr ab.
Langsam fuhr sie vor Lauras Haus, hielt an und schloss so leise wie möglich die Autotür. Sie horchte in die Nacht. Die Stille war mit Händen zu greifen. Es war wieder klirrend kalt geworden und der Himmel leuchtete sternenvoll. Das Dorf selbst lag im Dunkeln. Nur die funzelige Laterne an der Ecke vom Dorfladen tat so, als verbreite sie Licht. Doch dann sah Judith zwei Leuchtpunkte, zwei kleine Reflektoren, etwas über dem Boden, genau vor Walters Tür. Dass Wilhelmina bei dieser Kälte allein draußen hockte, war ausgeschlossen. Walter musste neben ihr sitzen! Als wäre das um diese Zeit und bei diesen Temperaturen völlig normal. Natürlich kannte Judith alle Warnungen bezüglich der Liebe unter Kollegen, und natürlich waren sie ihr völlig egal. Sie lief kopfenden Herzens zu ihm. Er stand auf, nahm sie bei der Hand und wortlos betraten sie sein Haus.
Die verdutzte Wilhelmina musste zusehen, wo sie eine mitfühlende Seele fand, die ihr ein Fenster öffnete.
Dienstag
~ 35 ~
Als Laura am frühen Morgen in die Küche kam, saß Judith schon fix und fertig angezogen beim Frühstück. Wilhelmina probierte gerade etwas Sahne und konnte sich dabei wieder einmal nicht entscheiden, ob sie mehr schnurren oder lecken sollte.
»Guten Morgen, Judith! Ich hörte Sie gestern Abend gar nicht kommen. Bis mich die Katze dann nachts irgendwann weckte, habe ich tief und fest geschlummert.«
»Ich bin extra leise gewesen. Konnten Sie denn wieder einschlafen?« Judith befürchtete, dass Laura doch etwas mitbekommen hatte. Erst vor einer knappen Stunde war sie ins Haus geschlichen, nach einer wunderbaren, schlaflosen Nacht.
Walter fühlte sich eiskalt an, als sie sich, gleich hinter der Tür, küssten, so kalt, dass Judith einen Schreck bekam.
»Mir ist nicht kalt, glaub mir. Komm mit, bitte, komm!«, drängte er und zog sie sanft aber bestimmt in sein Wohnzimmer, das Judith zum ersten Mal betrat. Dort liebten sie sich hastig, ohne Umstände und begierig. Als sie wieder zu sich kam, hüllte Walter sie in eine warme Decke und hatte bereits einen Grog gemacht. »Der Gedanke daran hat mich warm gehalten.«
»Der an den Grog?«
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