Eisblumen - Ein Altmarkkrimi (Judith Brunners zweiter Fall) (German Edition)
geführt hatten. Sollte etwa tatsächlich? Nein! Das war ausgeschlossen! Als sie Astrid ansah, die stumm um Verzeihung bat, wusste sie, dass sie richtig lag. Laura musste allen Mut aufbringen, um zu fragen: »Wer?«
Astrid sah sie nicht an, als sie es mit jämmerlicher Stimme schaffte, kurz bevor ihr die Tränen liefen, zu sagen: »Martin. Du hast schon richtig geraten, Martin ist der Vater.«
Auf diese Eröffnung hin mussten beide Kräfte sammeln. Minutenlang war nur das Ticken der alten Wanduhr zu hören, ab und zu unterbrochen von dem feinen Piepsen einer Blaumeisenfamilie, die sich am Futterhäuschen vor dem Küchenfenster um die Sonnenblumenkerne stritt.
Astrid überlegte in diesem Moment, ob sie es bereute, dass sie Laura ihr Verhältnis mit Martin gebeichtet hatte. Gleichzeitig aber durchflutete sie ein unbeschreibliches Gefühl der Erleichterung. Endlich konnte sie ihr gegenüber die Heimlichkeiten aufgeben! Ihre Freundschaft war keine von der Art, in der intime Details ausgetauscht wurden. Abgesehen davon hatte Laura noch nie, selbst als Teenager, ein übermäßiges Interesse am Intimleben anderer Menschen erkennen lassen, was möglicherweise daran lag, dass auch das übrige Leben von Fremden sie nur mäßig zu fesseln vermochte. Das galt natürlich nicht für Lauras Freunde, dessen war sich Astrid gewiss, nur, deren Privatleben wurde von ihr achtsam respektiert. Und Martin hatte nie öffentlich bekannt, dass er Laura liebte. Später heiratete er sogar eine andere und zog mit ihr zwei Kinder groß. Zwar hatte Laura sich ihr gegenüber nicht ausdrücklich von Martin distanziert, aber sie bekannte sich auch nicht mehr zu ihm! Astrid hatte sich viele Jahre lang gezwungen, ihre Gefühle für Martin zu verbergen. Doch jetzt würde er mit ihr ein Kind haben. Und sie freute sich darauf!
Laura war wie gelähmt. Wieso hatte sie nichts bemerkt? Eine Affäre zwischen ihrer besten Freundin und Martin, ihrer großen Jugendliebe. Astrid und Martin. Zwei Menschen, denen sie vertraute. Was hatte sie nur falsch gemacht? Laura fühlte sich hintergangen, von beiden!
Wortlos verließ sie das Gutshaus.
~ 36 ~
Walter Dreyer besetzte gerade seinen Schreibtisch und versuchte, seinen heißen Kaffee zu schlürfen, in der Hoffnung, dass der ihn munterer und die Morgenstunde leichter machen würde. Ein langer Tag lag vor ihm, dennoch würde er für nichts auf der Welt die letzte Nacht eintauschen. Versonnen blätterte er irgendwelche Notizen durch, ohne dass etwas Spezielles sein Interesse wecken konnte, als seine Bürotür aufgestoßen wurde.
»Meine Tochter ist weg!«
»Frau Neubauer, guten Morgen! Was sagen Sie da?«
Walter Dreyer stand auf und eilte zu der Frau, die sehr praktisch angezogen wirkte, wie immer, wenn sie nicht gerade am Sonntag Nachmittag durchs Dorf spazieren ging. Jetzt trug sie Gummistiefel, Trainingshosen, hatte über ihre bunt gemusterte Kittelschürze eine dicke blaue Wattejacke angezogen und ein wollenes, braunes Kopftuch umgebunden. Sicher fror sie nicht.
Viel zu laut berichtete sie: »Ja, Karoline wollte am Wochenende weg, doch schon gestern hab ich mir Sorgen gemacht.« Vorwurfsvoll sah sie ihren Dorfpolizisten an. Sollte der mal ruhig wieder Ordnung in ihre Welt bringen!
Walter Dreyer schätzte in Gedanken das Alter von Karoline Neubauer auf Anfang zwanzig. Da verschwinden junge Frauen schon mal für ein Wochenende. Insofern war er erst einmal beruhigt. Kein kleines Kind! Sofort war wieder die Furcht um Fritzi und seine Schwester präsent.
»Wo soll sie denn sein? Ihre Arbeit hat schon gefragt!« Jetzt klang die Angst bei Gisela Neubauer allzu deutlich mit, ihr Gesicht verzog sich zu einer hohlen, blassen Grimasse.
Eigentlich war sie eine ganz reizvolle Frau, um die vierzig, schönes braunes Haar, aber ihr schien überhaupt nicht daran gelegen, ihre Attraktivität zu zeigen. Von Männergeschichten war nie etwas zu hören gewesen. Karoline geriet, zumindest in letzterer Hinsicht, voll nach ihrer Mutter. Ein Ausbund an jugendlicher Tugend. Und nun war sie verschwunden? Walther Dreyer versuchte zu beruhigen: »Setzen Sie sich doch bitte. Wo wollte Karoline denn hin, wissen Sie das?«
»Hat sie mir nicht gesagt, nur dass sie gleich nach der Arbeit am Sonnabend los wollte und Sonntag wiederkommt!«
»Und arbeiten war sie gestern auch schon nicht?«
»Nein. Aus dem Laden haben die anderen Verkäuferinnen gestern und erneut heute früh angerufen!«
»Weiß denn Vera Wagner nichts?«
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