Eisblumen - Ein Altmarkkrimi (Judith Brunners zweiter Fall) (German Edition)
etwas umhören könnte, ob sie hier in der Altmark entsprechende Forschungsprojekte laufen haben?« Ihr ging Lauras Bemerkung über die Fachkompetenz des Zettelschreibers nicht aus dem Kopf.
~ 34 ~
Walter Dreyer fuhr unzufrieden nach Waldau zurück. Er hatte keine Gelegenheit gehabt, einige private Worte mit Judith zu wechseln. Immer war irgendjemand dabei gewesen. Er fühlte sich schrecklich, wenn sie ihn offiziell anredete. Für morgen hatten sie vereinbart, dass er die Zeugenbefragungen in Waldau abschließen sollte. Judith wollte sich noch einmal mit dem Postfahrer befassen. Bis dahin lagen ihr, so hatte sie gehofft, die Berichte zu den Postdiebstählen vor.
In seinem Büro fand Walter weder einen Waldauer Bewohner noch irgendeine dringende Nachricht vor, sodass er als Dorfpolizist völlig abkömmlich schien. Er könnte also kurz bei Laura vorbeigehen und ihr die Aufgabe zur Universitätsrecherche überbringen. Außerdem hatte er immer noch nicht eingekauft und rechnete mit Beköstigung.
Gestern Abend hatte er Laura in keiner guten Stimmung zurückgelassen; Walter wollte auch feststellen, ob sie ihm verziehen hatte. Bei seiner Mission wurde er auch diesmal von Wilhelmina begleitet, die aus dem Nichts in seinem Bürosessel aufgetaucht war. Nun gab sie sich ebenfalls entschlossen, Lauras Gesellschaft und ihren Futternapf aufzusuchen.
Laura schien noch nicht ganz die Alte zu sein. Zwar verpflegte sie ihre Gäste anstandslos und reichlich, wartete aber offenbar ungeduldig darauf, dass Walter seine Mahlzeit beendete. Als er ihr Judiths Bitte vorbrachte, sich bei den Universitäten nach Euthanasie-Forschungsprojekten im Altmarkumfeld zu erkundigen, nickte sie bloß.
»Warum sagst du nichts?« Ihr Schweigen irritierte ihn.
»Iss erst mal auf, dann muss ich dich was fragen.«
»Na, schieß los!«
»Nein, nein, lass es dir erst mal schmecken. Es wird ein unappetitliches Thema.«
Vorsichtig biss Walter in sein Käsebrot. »Hast du noch Tee da?« Zur Not konnte man den mit hochprozentigen Zutaten verfeinern, wenn es zu unappetitlich würde.
Laura lächelte schelmisch, setzte Wasser auf und holte eine Flasche tschechischen Rum aus der Speisekammer, dessen Vorräte bei ihr nie ausgingen. Dafür mussten alle sorgen, die Gelegenheit zu seinem Kauf hatten. Als sie zusammen im Wohnzimmer saßen, Walter die Gläser füllte und den Bridgezucker dazugab, fühlten sie sich wieder sehr wohl miteinander.
Laura nippte an ihrem Tee und musste vor Schreck husten. »Ich bin kein Pirat, Walter! Mit dem Rum hast du es aber gut gemeint.«
»Du hast gesagt, es wird unappetitlich. Ich dachte, das hilft vielleicht.«
Laura sah ihn ernst an. »Ich hab mich nach der Besprechung heute Nachmittag noch ein bisschen in die Bücher vertieft; war beim Kreuzer in der Stadtbibliothek. Vielleicht ergibt sich ja noch irgendein Hinweis, dachte ich.«
»Und?«
»Mir ist dann etwas aufgefallen.«
»Na?«
»Bei den Versuchen, also den Menschenversuchen damals, haben manche Ärzte auch Experimente mit kaltem Wasser gemacht.«
Walter Dreyer blickte hellhörig über sein Teeglas. »Ja?«
»Also, die haben damals Menschen mit Frost und Kälte umgebracht.«
Jetzt ging Walter ein Licht auf. »Nun ist aber genug! Du hast ja eine Fantasie! Meinst du im Ernst, unser Toter ist ein Versuchskaninchen gewesen? Du weißt genau, dass er tot war, bevor er ins Wasser gebracht wurde.«
Doch dann fiel ihm ein, dass Robert Wolff längere Zeit extremer Kälte ausgesetzt gewesen war. Und der Kleine sollte auch erfrieren. »Mein Gott!«
Laura wollte wissen: »Was meinst du, sollte ich das Judith erzählen?«
Noch völlig in seinen Gedanken versunken fragte Walter: »Wozu? Ich meine, warum haben die Ärzte das gemacht?«
»Nun, die wollten zum Beispiel wissen, wie lange abgeschossene Piloten im Wasser überleben. Oder Schiffsbesatzungen. Die haben genau Protokoll geführt, wie lange das Sterben dauerte, bei wie viel Grad Wassertemperatur die ›Patienten‹ sich wie verhielten.«
Walter musste irgendetwas tun und füllte ihnen wieder die Gläser. Er schüttelte den Kopf. »Wie hältst du das eigentlich aus, wenn du dich mit solchen Geschichten befasst? Oder in den Archivakten über die Verbrechen liest?« Er machte sich wirklich Sorgen. Ihn nahm so etwas ziemlich mit.
»Meistens komme ich gut zurecht mit solchen belastenden Themen. Vor allem, wenn ich jemandem helfen kann, ein Schicksal aufzuklären. Häufig sind es Angehörige, weißt du. Die
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