Eisblumen - Ein Altmarkkrimi (Judith Brunners zweiter Fall) (German Edition)
Dreyer dazu nicht sagen, »und Bruno Michaelis? Haben Sie keine Idee, wo ich den finden könnte?«
»Ach wo, was der so vorhat, weiß hier keiner. Grüßen tut er zwar, aber sonst? Selbst bei dem ganzen Theater hier hat er kein Wort gesagt.«
»Theater? Was meinen Sie?«
»Na, die Frau vom Horst und mein Mann. Die sind zusammen weg, ab nach Stendal. Das war eine schlimme Zeit letztes Jahr – mit viel Hin und Her. Trotzdem tat der Michaelis so, als würde er nichts mitkriegen.«
Dreyer hatte nicht den Eindruck, als würde er hier noch etwas Nützliches zu hören bekommen, und Marion Wiechert redete sich in Rage. Er wollte sich gerade dankend verabschieden, als er ganz, ganz leise über die Straße das Telefon in Bruno Michaelis Haus klingeln hörte. Der ebenfalls lauschenden Frau zunickend, überquerte Walter erneut die Straße, wodurch sich das Klingeln etwas lauter anhörte.
Als Dreyer an Michaelis Haus angekommen war, legte er konzentriert sein Ohr an die Haustür. Er hoffte immer noch, etwas vom Hausherrn zu hören. Stattdessen verstummte das Telefon. Plötzlich gab die hölzerne Tür unter dem unmerklichen Druck seines angelegten Kopfes nach und schwenkte lautlos einen Spalt auf.
»Hallo? Herr Michaelis? Sind Sie da?«, rief er ins Haus.
Keine Antwort. Walter Dreyer versuchte es erneut: »Herr Michaelis, geht es Ihnen gut?«
Nichts war aus dem Haus zu hören. Dreyer merkte, dass Marion Wiechert näher kam, und drehte sich kurz um. »Bleiben Sie bitte vor dem Tor stehen?«
Offenbar hatte er nicht sehr verbindlich geklungen, denn sie stoppte abrupt und kehrte in ihr Haus zurück.
Dreyer betrat angespannt den Wohnungsflur. Auch auf sein erneutes Rufen kam keine Reaktion. Im diffusen Tageslicht konnte er die Raumaufteilung ein wenig besser sehen als bei seinem ersten Besuch. Er bemerkte sofort, dass alle Zimmertüren offen standen. Als Dreyer in das erste Zimmer blickte, das, in dem er neulich abends mit Michaelis gesessen hatte, sah er, dass es durchwühlt worden war. Zwar war der Ordnungszustand auch am Sonnabend nicht mustergültig gewesen, doch jetzt standen die Schubladen des Schreibtisches offen, einige Papiere lagen am Boden und einer der Stühle war umgefallen. Der Stapel der bunten Briefe, die ihm neulich ins Auge gefallen waren, war auf jeden Fall verschwunden. Im Raum gegenüber, der offenbar als Wohnzimmer gedient hatte, sah es ordentlicher aus, lediglich vor einer Schlafcouch lag ein Sofakissen am Boden und ein schwerer Polstersessel war quer zur Wand verschoben worden. Dreyer kannte solche Möbel aus vielen dörflichen Haushalten. Der Sessel konnte mit wenigen Handgriffen zu einer halbwegs bequemen Liegestatt ausgezogen werden, wobei unter der Sitzfläche ein größerer Hohlraum entstand. Manch einer versteckte dort seinen Sparstrumpf. Er beugte sich prüfend herunter, aber bei Michaelis’ Sessel war nichts dergleichen zu sehen.
Hatte derjenige, der hier alles durchsucht hatte, etwas gefunden? Und wo war der Bewohner des Hauses? Walter Dreyer konnte nicht verhindern, dass ihn schlimme Befürchtungen zu Bruno Michaelis’ Befinden erfassten. Er griff zum Telefon.
~ 49 ~
Judith Brunner hatte sich aus ihrem mit der Bücherrevision belegten Büro in den Besprechungsraum zurückgezogen, um die Ermittlungen zu rekapitulieren und in Ruhe nachzudenken.
Dr. Grede klopfte an, einen Zettel in der Hand. »Ich habe diesen Jesco Waldner erreicht. Er war auskunftsfreudig, aber recht mitgenommen vom Tod seines Freundes. Na ja, jedenfalls ist das Testament kurz und bündig – alles geht an seine Tochter Karoline Neubauer. Weitere Kinder gibt es nicht, eine neue Ehefrau auch nicht.«
»Und wie hoch ist der Nachlass, hat er das auch verraten?«
»Schon: die Praxis natürlich, Haus und Grundstück, ein umfangreicher und zum Teil wertvoller Hausrat mit Möbeln, Teppichen, Büchern und etliche Zehntausend Mark auf diversen Konten. Waldner will sich mit den Frauen in Verbindung setzen und ihnen helfen, die Angelegenheiten zu regeln. Ist er seinem Freund schuldig, hat er gesagt.«
»Womit er auch recht hat«, meinte Judith Brunner und überlegte: »Wenn man bedenkt, dass Wolff seine Tochter nie gesehen hat.«
»Na ja, das stimmt so nicht.«
»Ach?!«
»Waldner erzählte, dass Wolff ihn einmal hierher begleitet hat, als das Mädchen volljährig wurde. Dann wollte er Karoline aber offensichtlich nicht mehr begegnen. Wolff blieb im Auto sitzen, während Waldner mit der Mutter sprach. Er hatte
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