Eisblumen - Ein Altmarkkrimi (Judith Brunners zweiter Fall) (German Edition)
seine Tochter damals beim Verlassen des Hauses kurz gesehen.«
»Und ist nicht zu ihr hingelaufen?«
Dr. Grede hob die Schultern. »Jetzt wollte er sich ja mit ihr treffen«, und heftete seine Notiz an eine der wenigen freien Stellen auf der letzten Tafel.
Die Hauptkommissarin hörte über den Gang das Telefon in ihrem Büro und eilte hinüber, doch als sie die Tür erreicht hatte, verstummte das Klingeln schon wieder. »Ich war nicht fix genug, Chefin«, erklärte Lisa Lenz entschuldigend, »so schnell kam ich nicht hin.«
»Wird sich schon wieder melden«, war sich Judith Brunner sicher und fragte: »Geht’s voran?«
Die beiden Revisorinnen verglichen gerade die gefertigten Listen mit den Bücherstapeln und schienen sehr mit sich zufrieden.
»Einen kleinen Moment noch«, bat Laura. »Nur noch diese hier: fünf Bücher, eine Reihe. Vaterländische Gedichte, 1888. Goldschnitt.« Wenig später sah sie die Kommissarin an. »Alles geschafft.«
»Prima«, lobte Judith Brunner und nahm die Listen zur Hand. In Ruhe blätterte sie die Aufstellungen durch. »Was das wohl wert ist?«, wandte sie sich an Laura.
»Oh, ganz genau kenne ich mich da auch nicht aus. Auf jeden Fall ist das sehr verschieden. Für einzelne Bände eines Lexikons gibt es eher weniger Geld; für komplette Ausgaben zahlen die Interessenten natürlich mehr. Man müsste auch die Auflagenhöhen kennen. Aber hier, für dieses Märchenbuch von Oscar Wilde könnten Sie schon ein paar Hundert Mark erwarten.« Laura reichte ihr ein in fliederfarbenes, zartes Leder gebundenes Buch mit den englischen Kunstmärchen, das mit Holzschnitten im Jugendstil illustriert war.
Judith nahm es vorsichtig in die Hand und blätterte behutsam einige Seiten um. »Wunderschön.«
»Oder hier, diese Naturgeschichte von 1872. Detaillierte Zeichnungen exotischer Pflanzen und Tiere. Damals haben die Leute ...«
Das Telefon klingelte wieder und Lisa Lenz nahm ab. »Büro Hauptkommissarin Brunner.« Sie lauschte einen Moment, »Chefin, ein Anruf von Walter Dreyer«, und reichte Judith den Hörer.
Walter schilderte kurz seine Beobachtungen.
»Gut. Ich schicke Thomas Ritter los. Sie bleiben bitte vor Ort für den Fall, dass Michaelis wieder auftaucht.«
»Du bist also nicht allein im Zimmer«, vermutete Walter, dem Judiths dienstlicher Tonfall auffiel.
»Ja, Frau Perch und Frau Lenz sind mit den Bücherlisten fertig.« Sie hörte, wie Walter am anderen Ende der Leitung leise lachte, und fuhr fort: »Ich bin eher skeptisch, ob die Bücher allesamt aus der Quelle beim Altstoffhandel stammen. Vielleicht in Einzelfällen. Jedenfalls sind die meisten Bücher aus Dampmanns Haus zu gut erhalten und zu wertvoll, als dass sie von solchen Sammelstellen stammen könnten.«
Walter Dreyer wandte ein: »Ich könnte mir aber vorstellen, dass Dampmann, wenn er sowieso vor Ort war und seine Pappe ablieferte, sich die Gelegenheit nicht hat entgehen lassen und einige schöne Stücke entdeckt und mitgenommen hat.«
»Möglich. Warten Sie bitte auf Herrn Ritter.« Judith Brunner legte auf.
»Lisa, würden Sie nachsehen, ob Thomas Ritter kurz herkommen könnte?« Sie wollte ihm persönlich die neue Situation erklären.
Dann richtete sie sich an Laura: »Wir müssen herausfinden, woher diese Bücher stammen. Der Altstoffhandel kommt dafür nur in Ausnahmen infrage.«
»Das denke ich auch. Ein Antiquariat gibt es hier in Gardelegen nicht, auch nicht in Salzwedel oder Stendal. Wir könnten Peter Kreuzer um seine Hilfe bitten«, schlug Laura vor. »Er hat uns doch schon mehrfach geholfen. Er kann sicher auch viel konkreter als ich die Bücher schätzen. Bestimmt ist er auch heute im Dienst.«
»Gute Idee.«
Judith Brunner hatte Glück mit ihrem Anruf; der Bibliothekar in der Kreisbibliothek Gardelegen war gern bereit, die Polizei wieder zu unterstützen.
»Er hat in einer Stunde Zeit für uns.« Judith nahm die Listen in die Hand. »Sie kommen doch mit? Wir könnten zuvor noch einen Happen essen gehen«, lud sie Laura ein, die gern zustimmte.
Als Lisa mit Thomas Ritter ins Büro trat, erklärte Judith Brunner kurz die Sachlage.
Ohne Murren, allerdings auch mit wenig Begeisterung machte sich Ritter auf den Weg nach Breitenfeld.
Noch ein Ort für Untersuchungen! Langsam würden die Mitarbeiter der Spurensicherung Unterstützung brauchen. »Ach, Lisa, würden Sie sich bitte bei der Gewerbeaufsicht erkundigen, ob Dampmann eine Erlaubnis für den Handel mit Büchern hat?«, fiel Judith
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