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Eisblut

Eisblut

Titel: Eisblut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marina Heib
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folgte. Nur mit einiger Mühe konnte er in dem
inzwischen stärker gewordenen Regen die Autonummer entziffern. Er gab sie
telefonisch an Daniel zur Überprüfung durch. Es dauerte keine zwei Minuten,
dann hatte er den Namen.
    Â»Fahr einfach in deinem ganz normalen Tempo weiter«, meinte er zu
Anna, »es ist Lars. Lars Berger.«
    Â»Oh, mein Gott, was macht der hier? Glaubst du …?«
    Â»â€¦Â dass er sich Martin geschnappt hat, um Uta zu rächen? Ich weiß
nicht. Aber ich werde ihn fragen, darauf kannst du Gift nehmen.«
    Lars folgte ihnen bis nach Hamburg in die Schanze zur
Einsatzzentrale. Dort sprang Christian blitzschnell aus Annas Auto und
sprintete zu Lars’ Wagen. Er riss die Fahrertür auf und zerrte Lars, noch bevor
der wusste, wie ihm geschah, aus dem Auto. Anna sah zu, wie Christian Utas verdutzten
Bruder am Oberarm ins Gebäude zog, dann legte sie den ersten Gang ein, wendete
und fuhr nach Hause.

Tag 10: Montag, 6. November
    Es war weit nach Mitternacht, selbst auf der
Intensivstation im Krankenhaus von Reinbek herrschte relative Stille. Nur das
Quietschen von krankenschwesterlichen Gummisohlen auf dem Flur war dann und
wann zu hören. Volker saß in dem Sessel an Martins Bett, den die Mutter vor
wenigen Stunden widerwillig geräumt hatte. Der Arzt hatte sie und ihren Mann
überredet zu gehen. Sie brauchten selbst Ruhe. Nach einigen Diskussionen und
der Versicherung des Arztes, sofort Bescheid zu geben, sobald sich bei Martins
Zustand auch nur die geringste Änderung ergeben würde, hatten sich die
Abendroths in einem nahegelegenen Hotel eingemietet. Sie wollten das
Krankenhaus innerhalb weniger Minuten erreichen können, falls Martin aufwachte.
    Volker wusste selbst nicht genau, warum er hiergeblieben war. Die
Bewachung des Zeugen übernahm offiziell der Streifenbeamte, der auf einem Stuhl
vor der Station japanische Mangas las, um sich wach zu halten. Volker konnte
nicht mal behaupten, dass ihm Martin sonderlich sympathisch gewesen war, als er
ihn auf Christians Geburtstagsfeier im R&B kennengelernt hatte. Martins
zuvorkommende Art und seine charmanten Small-Talk-Fähigkeiten waren ihm allzu
glatt und aufgesetzt erschienen, um den jungen Mann als eigenständigen
Charakter wahrzunehmen. Volker hatte sogar ein deutliches Unbehagen empfunden,
als ihm klar wurde, dass zwischen Yvonne und ihrem Kommilitonen ein intimes
Verhältnis bestand. Unwillkürlich hatte er den Impuls verspürt, Martins
manikürte Hand von Yvonnes Oberschenkel wegzuwischen wie ein ekliges Insekt,
und er hatte bemerkt, dass Anna ähnlich empfand.
    Doch er saß hier, betrachtete Stunde um Stunde diesen
zusammengeflickten Körper, der im Bett vor ihm aufgebahrt lag, hin und wieder
leise stöhnte und unter seinen geschlossenen Lidern immer wieder hektisch die
Augäpfel hin- und herrollte, als würde er die Gesamtheit aller möglichen
Ereignisse des unendlichen Universums simultan ablaufen sehen. Es war kein
Mitleid, was Volker für diesen geschundenen Studenten empfand, es war eher eine
seltsame Verbundenheit mit diesem Rest von Mensch, mit der Reduzierung auf das
von der Natur Bereitgestellte, Haut, Fleisch, Knochen, Blut, ein wild pumpendes
Herz und der unergründliche Wille zu leben. Martin lag da wie frisch in die
Welt gespuckt: blutig, geschockt und ohne Ich-Bewusstsein. Eine Tabula rasa.
Volker wollte dabei sein, wenn sich der Mensch wieder erhob in diesem verbissen
kämpfenden Körper. Deswegen war er hier. Er wartete auf ein Wunder.
    Um drei Uhr morgens bekam Christian einen Anruf von Karen
aus der Rechtsmedizin. Es dauerte eine Weile, bis das Telefonklingeln ihn
weckte. Er lag erst seit zwei Stunden im Bett, das Handy direkt neben sich auf
dem Nachttisch.
    Â»Du hast gesagt, ich soll dich anrufen, egal, wie viel Uhr es ist«,
begann Karen.
    Â»Alles bestens. Ich bin wach, auch wenn ich mich nicht so anhöre.
Also?« Christian setzte sich auf und knuffte sein Kissen im Rücken zusammen. Er
stellte das Telefon auf laut, legte es auf den Nachttisch und griff nach einer
Flasche Mineralwasser. »Selbst der Spitzenforensiker Doktor Peters hat
Schwierigkeiten mit dem Bestimmen des genauen Todeszeitpunkts. Die Faulleichen
lagen schon Monate, es ist kaum was von ihnen übrig. Kurz vor der
Skelettierung. Wir hatten einen extrem heißen Sommer und bislang einen sehr
feuchten Herbst. Die ammoniakalische Fäulnis, das Gewebe

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