Eisblut
Professor.«
Christian verabschiedete sich von Walter Maybach.
»Freut mich, dass Sie mir noch die Hand geben, nach allem, was ich
Ihnen erzählt habe«, meinte Walter mit aufrichtiger Dankbarkeit.
Christian sah ihn ausdruckslos an und wandte sich zum Gehen. »Danke
für die Namen.«
Walter brachte ihn nachdenklich zur Tür. »Einen habe ich Ihnen noch
nicht gegeben. Auch Anna habe ich ihn nicht gesagt. Den Namen des Mannes, der
auf dem Foto nicht zu sehen ist, weil er es aufgenommen hat.«
Christian hielt in seiner Bewegung inne und sah Walter Maybach
auffordernd an.
»Er war sozusagen der Kopf der Truppe, unser Regisseur. Er lebt
inzwischen wieder in Hamburg, ganz hier in der Nähe, ich habe ihn vorletztes
Jahr im Supermarkt getroffen. Wir haben kein Wort miteinander gewechselt,
obwohl wir uns erkannt haben. Aber ich habe mich erkundigt. Er gibt jetzt den
seriösen Anthropologieprofessor. Gellert heiÃt er. Erwin Gellert.«
In einem plötzlichen Anfall von Wut und Entsetzen packte Christian
sein Gegenüber am Kragen und drückte ihn gegen die Wand: »Geben Sie mir sofort
die Adresse! Wenn Anna irgendwas passiert ⦠ich werde, ich â¦!«
Walter zuckte erschrocken zurück: »Was hat Anna damit zu tun? Ich
habe ihr den Namen nicht gesagt. AuÃerdem kennt sie ihn nicht.«
»Und ob sie ihn kennt!« Christian schrie so laut, dass Evelyn
erschrocken angerannt kam. »Und Gellerts Lieblingsstudent ist unser jüngstes
Folteropfer! Geben Sie mir die Adresse! Sofort!«
Luise Juncker war nicht zu bremsen, der Rum hatte ihre eh
schon lockere Zunge zusätzlich beflügelt. Betroffen lieà sie sich über all die
Schicksalsschläge aus, die das Haus Gellert in letzter Zeit mitten ins Herz
getroffen oder zumindest gestreift hatten. Sie nahm noch einmal die Postkarte
aus der Schublade hervor, die Franziska nach ihrer Flucht aus Südamerika
geschickt hatte, drehte und wendete sie hin und her.
»Wissen Sie was, Frau Maybach?«
Anna verneinte stumm.
»Ich glaube nicht, dass Franziska und ihr Liebhaber nach Südamerika
abgehauen sind. Franzi hatte Angst vor Schlangen und vor Spinnen.«
»Aber wer hat dann die Karten geschickt?«
»Das hat bestimmt ihr Freund organisiert. Um den Herrn Professor auf
eine falsche Spur zu locken. Damit er sie nicht findet. Franzi hatte Angst,
dass der Professor sie sucht und zurückholt. Weil er es nicht verwinden kann,
dass sie ausgerechnet mit seinem ältesten Freund weggegangen ist. Den er schon
seit dreiÃig Jahren kannte. Sie hatte Angst, dass er ihnen das nie verzeiht.
Und dass er sie bestraft. Dabei ist der Professor gar nicht so. Er hat einfach
nur still gelitten. Ein feiner Mann, ein armer, feiner Mann.«
»Und wo glauben Sie, sind die beiden hin?«
»Nach Israel.«
»Wieso das denn? Da gibt es auch Schlangen und Spinnen.«
»Ja, aber nicht so groÃe wie in Südamerika. AuÃerdem lebt er da. Der
Nebenbuhler vom Professor ist Israeli.«
Anna setzte sich plötzlich kerzengerade hin. Einer spontanen
Eingebung folgend nahm Anna die Fotokopie von der »Akademie« heraus. Sie tippte
auf den mit einem roten Kreis markierten Mann.
»Ist er das? David Rosenbaum?«
Luise nahm umständlich ihre Brille heraus und begutachtete die
Aufnahme. »Jung sieht er da aus. Aber er könnte es sein. Jedenfalls hieà er
David. Mit dem Foto bin ich mir aber nicht ganz sicher.«
»Er ist es. David Rosenbaum war der Liebhaber meiner Frau.«
Anna und Luise fuhren erschrocken herum. Sie hatten beide nicht
bemerkt, wie und wann Erwin Gellert in die Küche getreten war. Schuldbewusst
erhob sich Luise. »Wir haben nur ein wenig geplaudert. Soll ich Ihnen einen
Kaffee aufbrühen?«
»Nein, danke, lassen Sie mal.« Professor Gellert ging zur
Arbeitsplatte, nahm ein groÃes Fleischmesser aus dem dort stehenden
Messerblock, schnellte herum und schnitt Luise Juncker mitten in der Drehung
schwungvoll die Halsschlagader durch. Eine rote Fontäne schoss quer durch die
Küche.
Daniel saà im Konferenzraum mit den anderen und hatte den
Lautsprecher eingeschaltet, während er mit Volker telefonierte, damit auch Pete
und Eberhard mithören konnten. Während er sprach, lieà er seine Finger über die
Tastatur des Laptops fliegen.
»Damnatio ad bestias, verurteilt zu den Bestien, hieà es früher bei
den Römern, als sie die
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