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Eisblut

Eisblut

Titel: Eisblut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marina Heib
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scheußliche Nacht hinter sich.
Mindestens eine halbe Flasche Rotwein hatte sie getrunken, wenn nicht sogar ein
wenig mehr – für Yvonnes Verhältnisse exzessiver Alkoholmissbrauch. Als
Christian gegen elf Uhr abends anrief und sie einlud, noch auf ein Glas bei ihm
vorbeizukommen, wo er mit den anderen seine Rückkehr feierte, war sie schon
halb hinüber gewesen und hatte mit dem Hinweis auf eine frühe Vorlesung
abgelehnt. Der Umstand, ihrem geliebten Christian eine Absage zu erteilen,
bloß, um nicht in Daniels Nähe zu geraten, vergrößerte ihre Depression nur und
führte zu noch einem Glas Rotwein, wonach sie sich hundeelend fühlte, aber
trotzdem vor lauter Kummer nicht einschlafen konnte. Erst nachdem sie sich hoch
und heilig versprochen hatte, Daniel sofort und brutal aus ihrem Herzen zu
reißen und nie wieder wegen eines Mannes zu leiden, ging es ihr ein wenig
besser, und sie weinte sich einsam in den Schlaf.
    Nun saß sie vor einem dünnen Kaffee bei »Balzac« im Grindelhof und
würgte einen Bagel herunter, weil sie ihren Kater mit Essen vertreiben wollte.
Sie saß mit dem Rücken zum Raum und schaute durch die große Glasscheibe hinaus
auf die Straße. Das Wetter passte zu ihrer Stimmung: ein wolkenverhangener,
düsterer Herbsthimmel, der mit Regen drohte und mit Untergang. Viel war noch nicht
los auf der Straße, für den üblichen Betrieb von hin und her hastenden
Studenten, die zur Uni wollten, war es noch etwas früh. Yvonnes
Einführungsvorlesung, die um neun Uhr c.t. begann, war wohl eher ein Test für
das Engagement der Erstsemester als ein ernstgemeinter Vorschlag.
    Â»Hi! So früh schon unterwegs?«
    Jemand schlug ihr von hinten auf die Schulter. Erschrocken wandte
sich Yvonne um und blickte in das strahlende Lächeln von Martin Abendroth.
    Â»Du ja auch«, gab sie wenig einfallsreich zurück.
    Ohne zu fragen setzte sich Martin mit seinem Kaffeebecher neben sie.
»Ich stehe kurz vor dem Magister, da muss man sich ranhalten. Aber du als
Erstsemester? Hast du abends nichts zu tun, was dich morgens vom Aufstehen
abhält?«
    Yvonne fühlte sich überrumpelt, sodass sie ihre übliche
Schlagfertigkeit verlor: »Gestern nicht.«
    Martin grinste sie an: »Dafür machst du aber trotzdem ganz schön den
Matten. Nicht gut drauf, oder was?«
    Â»Und wenn? Wen kümmert’s?«
    Â»Na, mich. Sonst würde ich nicht fragen. Also erzähl.«
    Langsam gewann Yvonne ihre Fassung wieder, und sie versuchte, Martin
mit ihrer schlechten Laune zu vertreiben. Doch der gab so schnell nicht auf und
schaffte es schließlich, Yvonne mit einigen schrägen Anekdoten über
Psychologie-Dozenten und Kommilitonen zum Lachen zu bringen.
    Â»Geht doch«, kommentierte er seinen Erfolg zufrieden.
    Yvonne sah auf die Uhr und nahm ihre Tasche auf, plötzlich wieder
missmutig. Sie musste los, aber es war ihr leicht anzusehen, wie wenig Lust sie
verspürte. Martin erklärte ihr schmunzelnd, dass man die erste Vorlesung
traditionell zu verpassen hatte, und um ihr die Entscheidung zu erleichtern,
lud er sie zu einem zweiten Kaffee ein. Yvonne zögerte kurz, immerhin hatte sie
sich vorgenommen, ihr Studium ernsthaft anzugehen und die Zeit, die ihr der Job
ließ, intensiv zu nutzen. Aber sie wollte auch nicht uncool erscheinen, und es
tat ihr verdammt gut, nach dem gestrigen Tag der bitteren Enttäuschung von
unerwarteter Seite bespaßt zu werden. Also blieb sie. Nach einer weiteren
halben Stunde fand sie Martin sogar richtig nett. Es war wunderbar, dass er
sich für sie interessierte, für das, was sie tat und wollte. Yvonne fühlte sich
aufgehoben und war sogar ein bisschen stolz, weil er sich beeindruckt von ihrer
Tätigkeit bei der Soko zeigte.
    Â»Daher kennst du wahrscheinlich auch Frau Doktor Maybach. Die hat
doch letztes Jahr bei dieser Kiste mit dem Kindermörder geholfen. Ihr mögt
euch, oder?«
    Yvonne bejahte: »Anna ist super. Die hat damals echt ’ne Menge
wegstecken müssen, und das war bestimmt nicht einfach für sie, obwohl sie ’ne
toughe Frau ist. Egal, ich bin jedenfalls froh, dass sie jetzt als Dozentin
arbeitet und ich bei ihr mitmachen darf.«
    Martin holte zwei Brownies und kredenzte Yvonne einen davon mit
formvollendeter Verbeugung, sodass sie wieder lachen musste.
    Â»Was war denn damals los? Ich habe nur mitgekriegt, wenn ich mich
recht an die Presse

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