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Eisblut

Eisblut

Titel: Eisblut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marina Heib
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schließlich keine Wahl. »Du wirst
in einer halben Stunde vermutlich noch mehr Grund haben, mich zu hassen.
Zumindest wirst du das glauben. Weil ich dir jetzt ein paar Illusionen über
deine kleine Schwester rauben werde.«
    Er öffnete die obere Schreibtischlade und holte die Kopie von Utas
Tagebuch heraus. Schweigend gab er sie Lars in die Hand. Dann erhob er sich und
ging in die Küche, Kaffee kochen. Es war ein Elend ohne Yvonne.
    Stumm brachte er Lars eine Tasse, der sie ohne Dank annahm, schon
längst in die Kopie vertieft, dann ging er zu Daniel ins Zimmer, der wie immer
konzentriert auf seinen Bildschirm starrte, auf dem gerade etwas vor sich ging,
was ihm nicht zu gefallen schien. Er fluchte leise vor sich hin und klickte
wild herum, sodass Christian neugierig hinter ihn trat: »Was macht dich denn so
hektisch?«
    Â»Meine gottverdammte Arroganz. Ich hab ’nen echten Gegner getroffen,
aber das verstehst du eh nicht.« Daniel schloss mehrere Fenster und
Anwendungen, es ging blitzschnell. Christian hatte keine Chance zu sehen, woran
Daniel gearbeitet hatte, und er war froh, dass Daniel nicht mal versuchte, es
ihm zu erklären. Nach wenigen Sekunden erschien eine Diashow mit Fotos von
schönen, leicht bekleideten Frauen, Daniels Schoner für den Bildschirm und für
seine Nerven. Er entspannte sich zusehends. Christian setzte sich, die beiden rauchten,
sprachen über Petes Anstrengungen, Christian zurückzuholen, über Yvonnes
Studium, und wie schrecklich es war, von Christian gebrauten Kaffee trinken zu
müssen. Christian rief Karen an und nervte sie mit Fragen, von denen er wusste,
dass sie die allesamt noch nicht beantworten konnte, er telefonierte mit Herd
und Volker, die im Präsidium bei der Sitte saßen und sich einschlägige Adressen
und Kontakte besorgten, und er versuchte Pete zu erreichen, um ihm wertlose
Tipps für die anstehende Pressekonferenz an Wallers Seite zu geben. Dessen
Handy war jedoch abgeschaltet.
    Etwa anderthalb Stunden später erhob er sich schwerfällig und ging
zurück in sein Büro. Lars saß immer noch auf dem Stuhl, die Kopien lagen vor
ihm auf dem Boden zerstreut, er hatte den Kopf in beide Hände geborgen und
weinte leise. Christian räusperte sich an der Tür und gab Lars Gelegenheit,
sich zu sammeln. Erst dann trat er ein und setzte sich wieder an seinen Tisch.
    Â»Tut mir leid«, sagte er sehr leise.
    Lars wischte sich über die Augen. »Ist ja nicht Ihre Schuld.«
    Â»So wie du das eben geschildert hast und auch nach dem Empfinden
deiner Schwester bin ich ein kleines Steinchen im Mosaik. Aber das meinte ich
nicht. Es tut mir leid, dass ich dir das zu lesen geben musste.«
    Â»Nein, schon okay«, wehrte Lars ab. »Aber Sie dürfen das niemals,
hören Sie, niemals meine Mutter lesen lassen! Sie würde es nicht verkraften.
Bei mir ist das was anderes. Lieber eine schmerzhafte Wahrheit als eine
verlogene Scheinwelt.«
    Irgendwie beschlich Christian das Gefühl, diese Weisheit hätte Lars
von seinem Vater. Er gab ihm recht.
    Â»Natürlich ist das alles schrecklich, fast unerträglich, ich will
und kann es gar nicht glauben. Als Kinder haben Uta und ich uns oft gegenseitig
mit Lügengeschichten geärgert, und wer drauf reingefallen ist, war der Doofe.
Aber das ist lange her. Alles ist anders jetzt. Und ich fühle mich, als hätte
ich meine Schwester komplett im Stich gelassen. Wieso hat sie sich mir nie
anvertraut?« Lars stiegen schon wieder die Tränen in die Augen, doch er
schluckte sie runter.
    Â»Das darfst du dir nicht vorwerfen, sie hat dich sehr geliebt und
bewundert. Alles andere, nun ja, ist vielleicht selbst oder gerade unter
Geschwistern zu intim gewesen. Ich kann das nicht beurteilen, ich habe keine
Ahnung, wenn ich ehrlich bin.«
    Lars lächelte traurig. Die Offenheit Christians tat ihm anscheinend
gut: »Wovon haben Sie denn eine Ahnung? Wie man den Kerl fasst?«
    Â»Ja«, sagte Christian. Er hatte schon wieder das Gefühl, den Mund zu
voll zu nehmen. Aber es gab absolut keine andere mögliche Antwort.
    Anna hastete fluchend über den verregneten Van-Melle-Park
zum Unigebäude. Sie hatte ihre erste offizielle Sprechstunde verschlafen. Der
Jetlag war schuld, immer noch. Als sie die Tür zum Gebäude aufriss, rempelte
sie gegen einen älteren Mann, der sie lachend auffing, da sie aus dem
Gleichgewicht geraten war.
    Â»Darf ich

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