Eisblut
sie, um sie zu küssen, doch Anna fuhr unerwartet
hoch, dass sie mit den Köpfen zusammenstieÃen. Beide rieben sich die Stirn.
»Sorry! Und Mist!«, fluchte Anna. »Ich habe meiner Mutter
versprochen, heute zum Essen zu kommen.«
»Kannst du das nicht absagen?«
»Nein. Unmöglich. Ich war seit Monaten nicht da, sie ist schon kurz
vor dem Suizid vor lauter Gekränktsein. Aber ich habe eine andere Idee. Du
kommst einfach mit. Glaubst du, du schaffst es bis eins? Wenn nicht, kommen wir
einfach zu spät, meine Eltern lieben das. Ein kleiner, langweiliger Termin,
bevor wir uns wieder ins Bett legen, okay?«
»Anna, wenn dein Student unser Mörder ist, dann werde ich heute
sehr, sehr viel zu tun haben. AuÃerdem: Was soll ich bei deinen Eltern? Du
weiÃt, wie ich so was hasse. Ich kenne sie doch gar nicht.«
»Eben. Ich habe viel Schlechtes über dich erzählt. Du musst es
endlich bestätigen.« Christian zögerte, aber Anna lieà nicht locker:
»Vielleicht stellt sich ja schnell heraus, dass Martin unschuldig ist. Dann hol
mich bitte hier ab, vergiss deine Neurosen, komm mit, und sei nett zu meiner
Mutter. Aber wehe, du bist nett zu meinem Vater!«
Lachend fasste Christian in ihr lockiges Haar, zog ihren Kopf sanft
nach hinten und biss ihr zärtlich in die Unterlippe. »Okay, du Biest. Ich tuâs.
Der Fall geht zwar vor. Aber wenn es irgendwie klappt, komme ich mit. Für dich
tu ich alles.«
Lars saà in seinem Wagen und kämpfte gegen seine bleierne
Müdigkeit an. Zwei Weckamine hatte er schon eingeworfen, er überlegte, ob er
noch mal nachlegen sollte, als Christian aus dem Haus kam. Sofort ersetzte ein
kleiner Adrenalinstoà die chemischen Aufputschmittel. Lars legte die Pillen
beiseite, gab Christian etwas Vorsprung und schaltete dann die Zündung ein. Es
war eine eher absurde Aufgabe, Christian zu folgen, denn trotz des
Schnürlregens ging er zu FuÃ. Lars musste sich bemühen, den langsam
einsetzenden Samstagmorgenverkehr nicht zu behindern, indem er in unauffälligem
Abstand hinter einem FuÃgänger herschlich. Aber bald war ihm klar, dass
Christian vermutlich ins Büro ging. Er konnte ihn ebenso gut überholen und dort
erwarten. Irgendetwas ging vor sich, das hatte ihm sein Gefühl gesagt, und es
war bestätigt worden, als Christians Freundin und seine Assistentin in aller
Herrgottsfrühe auftauchten. Es konnte kein Zufall sein, dass die beiden auch im
Pferdestall gewesen waren. Er suchte das Phantom, und die Bullen suchten das
Phantom. Sicher hatten die beiden Frauen undercover gearbeitet und ihm dabei
die Tour vermasselt. Aber er war auf der richtigen Spur gewesen. Und deswegen
würde er jetzt dranbleiben. Er würde sich nicht von den Nebelbomben ablenken
lassen, die dieser Christian Beyer warf, um ihn von den Ermittlungen
fernzuhalten. Er würde dranbleiben. Und im richtigen Moment zuschlagen. Die
Waffe hatte er. Sie wartete im Handschuhfach. Seine Rache.
Volker und Eberhard waren erstaunlich frisch, trotz der
feuchtfröhlichen Feier der letzten Nacht. Eberhard hatte schon einen Morgenlauf
von zwölf Kilometern hinter sich und wirkte wie mit frischen Batterien
versorgt, Volker knabberte entspannt an einer Dinkelstange und trank Yogi-Tee.
Nur Daniel schien geistig noch nicht ganz anwesend zu sein, seine Pupillen
bohrten sich mühsam kleine Schlitze durch aufgequollene Augenwülste, die Finger
jedoch klackerten flink über die Tastatur, als führten sie ein vom schlafenden
Hirn unabhängiges Eigenleben. Christian hatte seine Kollegen kurz und unter
Auslassung der für Yvonne peinlichen Details über den neuen Verdächtigen
informiert, und er war insgeheim stolz auf den Stil eines jeden der Truppe,
denn keiner fragte nach. Sie schonten Yvonne und vertrauten ihm. Dennoch war
das Jagdfieber spürbar. Die Hoffnung, den Killer zu fassen, lieà Volker sogar
seine Dinkelstangen vergessen.
Der Drucker spuckte mehrere Kopien von Martin Abendroths Passfoto
aus, das Daniel aus dem Computer des Einwohnermeldeamts gezogen hatte. Als Pete
hektisch und mit noch etwas Zahnpasta im Mundwinkel im Büro ankam, machten sich
Volker und Eberhard schon wieder auf den Weg.
Volker trat mit seinem Fahrrad auf der Schulter aus dem Haus, zog
seine Anorakkapuze tief ins Gesicht, um sich vor dem andauernden Regen zu
schützen, und fuhr mit einem Affenzahn los. Eberhard bestieg seinen Wagen
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