Eisenhand
Freudenfeuer. Nur war es eben kein Holz.
Es war eine gigantische Knochensammlung. Knochen von menschlichen Armen und Beinen. Hunderte von Opfern mußte hier zerstückelt worden sein, damit dieses Ossarium entstehen konnte. Erst hatte man sie als Opfergaben an die Bäume gehängt, dann kaltblütig in Stücke gehackt und zerlegt wie ein schmackhaftes Rind. Und nach meiner bescheidenen Kenntnis der keltischen Riten waren die meisten junge Männer gewesen, so wie wir.
Bevor wir ihn daran hindern konnte, kam der Hund des Tribun angelaufen und beschnüffelte diesen wunderlichen Knochenhort. Aus Respekt vor den Toten schlugen wir die Augen nieder, während Tigris allen vier Ecken des Ossariums seine ganz spezielle Hundereverenz erwies.
Wir verließen den Hain in großer Hast.
XLVIII
Wir wollten zurück zum Lager. Doch auf dem Weg dorthin begann der nächste Alptraum.
Wieder einmal war ich bei Einbruch der Dunkelheit mit Lentullus allein im Wald. Diesmal war es nicht die Stille, die uns schreckte, im Gegenteil! Auf einmal lärmte und krachte es um uns herum: etwas oder jemand brach eilig und ungestüm durchs Dickicht. Wir waren vor Angst wie versteinert. Dann hörten wir ein Rufen. Fremdländische Stimmen gellten durch die Nacht. Es klang auf Anhieb nach Verfolgung, und wir begriffen auf Anhieb, daß wir die Opfer waren. Ich schob Lentullus in eine andere Richtung.
»Sie können auf mich zählen, Falco!« versprach er.
»Das ist ein Trost …«
Wir hatten den Weg verloren und stolperten jetzt durch tückisches Gelände, wo abgebrochene Äste und rutschige Moospolster nur darauf lauerten, uns zu Fall zu bringen. Während wir verzweifelt durchs Unterholz stampften, versuchte ich, einen klaren Gedanken zu fassen. Niemand hatte uns aus dem Druidenhain kommen sehen, dessen war ich mir ziemlich sicher. Ja, vielleicht hatte man uns überhaupt noch nicht entdeckt. Irgendwer war da hinter irgendwas her, aber vielleicht waren es ja bloß Jäger, die den heimischen Kochtopf füllen wollten.
Wir machten halt und kauerten uns ins Gebüsch, unsere Nasen und der Schweiß liefen um die Wette.
Nein, nicht den Kochtopf. Wer immer da entlangpreschte, machte einfach zuviel Krach für einen Jägertrupp, der Wildbret in seine Fangnetze locken wollte. Sie hieben mit Stöcken aufs Unterholz ein, um Flüchtlinge aus ihrem Versteck zu scheuchen. Rauhes Gelächter ließ uns das Herz bis zum Hals schlagen. Dann hörten wir Hundegebell. Eine Art Waldhorn dröhnte. Und jetzt kam die ausgelassene Bande direkt auf uns zu.
Sie waren so nahe, daß wir freiwillig unsere Deckung verließen. Sie hätten uns sowieso gefunden. Jemand hatte uns bemerkt. Die Rufe wurden lauter.
Kopflos vor Angst rannten wir weiter, wagten noch nicht einmal, unsere Verfolger richtig anzuschauen. Auf einmal hatte ich Lentullus verloren. Er war stehengeblieben, um den Hund zu rufen. Ich lief weiter. Vielleicht kriegten sie ihn ja nicht. Vielleicht würden sie mich nicht kriegen. Vielleicht kamen wir noch einmal mit heiler Haut davon.
Keine Chance. Zwar konnte ich den Abstand zwischen uns vergrößern, aber dann brach hinter mir ein Geschrei los, das nur eins bedeuten konnte: Sie hatten Lentullus geschnappt. Mir blieb keine Wahl. Seufzend kehrte ich um.
Es war offenbar ein Trupp Brukterer. Sie standen im Kreis um eine tiefe Grube und lachten. Lentullus und Tigris waren beide hineingefallen. Vielleicht war es eine Wildfalle oder womöglich gar eine jener Gruben, die ihr Held und Fürst Arminius als eine Art Speisekammern hatte anlegen lassen, um die Gefangenen frisch zu halten. Lentullus war offenbar unverletzt, denn ich hörte ihn so schneidig brüllen und schimpfen, daß ich richtig stolz auf ihn war. Aber die Krieger machten sich über ihn lustig, schwangen drohend ihre hölzernen Lanzen, und bald merkte ich an seiner Stimme, daß der Rekrut, dem sicher auch der Sturz arg zugesetzt hatte, eine Heidenangst hatte. Da hob ein Brukterer die Lanze – eine Drohung, die deutlicher war als tausend Worte. Ich fing an zu schreien und stürmte auf die Waldschneise, als ein Riese mit beinharten Schultern hinter einem Baum hervorsprang und mich mit einem Hieb zu Boden streckte.
Lentullus konnte mich natürlich nicht sehen, hatte aber meinen Sturz offenbar mitbekommen. Seltsamerweise schien meine Gegenwart ihm Mut zu machen.
»Falco, wie sollen wir ohne Dolmetscher mit diesen Männern verhandeln?« Der Junge war ein unverbesserlicher Idiot …
Die Welt hörte auf, Karussell zu
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