Eisenhand
lauter, klangen die Stimmen schriller, und das Gespräch wuchs sich zu hitzigen Debatten aus. Wie überall, so beschlossen die Frauen auch hier, sich vor einem drohenden Männerzwist zurückzuziehen, um anderswo in Ruhe weiterplaudern zu können. Ein paar Härtefälle – offenbar die vom Leben Enttäuschten –, blieben freilich sitzen. Sie wirkten noch beschwipster als die Männer. Die Mannsbilder, denen der gehaltvolle Rote bislang nicht einmal den Schweiß auf die Stirn getrieben hatte, gerieten allmählich doch in Rage. Meinungen und Ansichten gingen wild durcheinander, immer ein schlechtes Zeichen. Schleppende, nuschelnde Stimmen widersprachen, und bald verliehen die ersten ihrem Standpunkt mit Fausthieben auf dem Tisch Nachdruck. Dann erhob sich unser Häuptling mit trunkener Anmut und hielt schwankend eine leidenschaftliche Ansprache. Offensichtlich sollte abgestimmt werden.
Normalerweise hätte es uns natürlich geschmeichelt, daß unser Mann der flammendste Redner war; einem würdigen Feind unterlegen zu sein ist für jeden Gefangenen ein erhebendes Gefühl; leider ließ sich an den wütenden Blicken in unsere Richtung ablesen, daß unser Schicksal den Streit ausgelöst hatte. Wir schnappten auch deutliche Hinweise dafür auf, daß der Häuptling mit der fabelhaften Spucktechnik beschlossen hatte, sein Ansehen dadurch aufzumotzen, daß er seine Gefangenen fürs nächste Menschenopfer in irgendeinem Druidenhain zur Verfügung stellte.
Die Rede war lang; er berauschte sich an seiner eigenen Rhetorik. Allmählich veränderte sich aber der Lärm, und die Krieger fingen an, mit den Lanzen gegen ihre Schilde zu trommeln.
Ich wußte, was das zu bedeuten hatte.
Immer lauter und rascher prasselten die Schläge auf die Schilde. Instinktiv rückten wir dichter zusammen. Eine mit größter Treffsicherheit geworfene Lanze schlug direkt vor unseren Füßen in den Boden.
Auf einmal verebbte der Lärm, ja, es wurde beinahe still – so still, wie eine große Menschenmenge, die vom Essen und Streiten erschöpft ist, nur werden kann. Köpfe reckten sich, und allmählich wurde aller Aufmerksamkeit in eine Richtung gelenkt.
Eine Frau war auf die Lichtung geritten, ohne Sattel und Zaumzeug, auf einem weißen Pferd.
LI
Helvetius packte mich am Arm. »Ich wette, das ist die Seherin.«
»Pech gehabt, ich biete nicht mit.«
Zwei der dürren Botenjungen rahmten das nervös tänzelnde Pferd rechts und links ein. Hätte es keine Reiterin getragen, ich hätte geschworen, das Tier sei noch nicht zugeritten. Es war klein, mit zottigem Fell und unstet flackerndem Blick. Die beiden Bohnenstangen rechts und links von ihm taten so, als führten sie das Pferd an der Mähne, doch es gab keinen Zweifel daran, wer die beiden – und natürlich auch den temperamentvollen Schimmel – beherrschte.
Veleda stieg vom Pferd und mischte sich unter ihr Volk. Claudia Sacrata hatte gemeint, Männer würden sie wohl für eine Schönheit halten. Claudia hatte recht. Zu unserem Trupp gehörten zweiundzwanzig Männer; und wir alle fanden sie schön.
Sie war groß, ruhig und selbstsicher. Ihr Teint war von jener durchsichtigen Blässe, die Männer schwächlich wirken läßt, Frauen dagegen etwas Geheimnisvolles gibt. Ihr dickes, goldblondes Haar reichte bis in die Taille. Es war wunderbar gepflegt. Helena hätte sicher gesagt, daß eine Frau, die tagein, tagaus allein in einem Turm hockt, viel Zeit für Kamm und Bürste hat. Sie trug ein ärmelloses rotes Kleid und hatte figürlich genug zu bieten, um das Auge des Betrachters auf den tiefen, runden Halsausschnitt oder die hochgeschlitzte Schulterpasse zu lenken und ins Schwärmen zu bringen. A propos Augen: Die ihren waren blau, und was sich in ihnen widerspiegelte, war das Vertrauen in die eigene Macht.
Ich versuchte zu erraten, wie sie zu ihrem hohen Ansehen gekommen war. Sie wirkte unnahbar und selbstsicher zugleich. Sie sah so aus, als könne sie nicht nur Entscheidungen treffen, sondern auch anderen Menschen die eigenen Entschlüsse als einzig mögliche Lösung verkaufen. Für uns war sie der sichere Untergang. Die Seherin der Brukterer war zu alt, als daß man sie jung, und zu jung, als daß man sie alt hätte nennen können. Nach römischen Maßstäben hatte sie so oder so das falsche Alter. Sie wußte zuviel, um uns zu verzeihen, und zuwenig, um den Kampf gegen uns zu beenden. Ich wußte sofort, daß wir ihr nichts zu bieten hatten.
Helvetius wußte das auch. »Na, dann viel Glück,
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