Eisenhand
»Dort ließ er den Wein in Strömen fließen und peitschte die Männer mit zündenden Reden auf, sie sollten das römische Joch abschütteln und ein freies gallisches Reich errichten.«
»Richtig mitreißend!«
»Oh ja, und brillant inszeniert! Civilis färbte sich Haar und Bart knallrot und schwor, er werde kein Barbiermesser daranlassen, ehe er nicht den letzten Römer aus Germanien vertrieben habe.«
Dieser markige Auftritt rückte unwillkürlich auch meine Mission in die schrill-pittoreske Ecke, die ich nicht ausstehen kann. »Genau der Typ nationalistischer Spinner, den ich für mein Leben gern aufs Kreuz lege! Hat er sich denn seitdem mal rasiert?«
»Nach Vetera.«
Beide schwiegen wir einen Moment und dachten an die Belagerung.
»Eine solche Festung hätte eigentlich ausharren müssen.«
Justinus schüttelte den Kopf. »Ich bin nicht dabeigewesen, Falco, aber nach allem, was man hört, war Vetera einfach heruntergekommen und vor allem unterbelegt.«
Wir begossen uns die Nase mit Justinus’ schaurigem Essigwein, und ich dachte über das nach, was ich von Vetera wußte.
Das ursprüngliche Zwillingskastell war längst nicht mehr vollzählig belegt gewesen, weil Vitellius für seinen Marsch auf Rom ganze Abteilungen abgezogen hatte. Die restliche Garnison verteidigte sich, so gut sie konnte. An Einsatzbereitschaft fehlte es gewiß nicht, aber Civilis hatte die römische Belagerungstaktik gut studiert. Er setzte seine Gefangenen zum Bau von Sturmböcken und Wurfmaschinen ein. Nicht, daß es den Eingeschlossenen an Erfindungsgeist gemangelt hätte: Sie konstruierten sogar einen mechanischen Greifarm, der die anstürmende Vorhut packte und über die Wehrmauern ins Lager zerrte. Aber irgendwann hatten sie sämtliche Maultiere und Ratten verzehrt; und als sie schließlich nur noch die Wurzeln und Gräser der Festungswälle zu essen hatten, war irgendwann ihre Widerstandskraft gebrochen. Gleichzeitig tobte in der Heimat der Bürgerkrieg, und sie fühlten sich ganz von ihr abgeschnitten. In der Tat war Vetera eines der nördlichsten Forts in Europa, und Rom hatte damals ganz andere Sorgen.
Ein Ersatzheer wurde geschickt, aber dessen Befehlshaber, Dillius Vocula, verpatzte seine Chance. Civilis schnitt ihm den Weg ab und ritt dann mit den erbeuteten Feldzeichen vor die Feste von Vetera, um die Eingeschlossenen vollends in Verzweiflung zu stürzen. Vocula gelang zwar später noch der Durchbruch, und er konnte die Belagerung aufheben, aber da war die Stimmung der Garnison schon auf dem Tiefpunkt angelangt. Seine eigenen Soldaten meuterten und ermordeten ihn bei Vetera. Das Kastell ergab sich, und die Truppen, die ihren Befehlshaber getötet hatten, schworen dem gallischen Reich die Treue. Die Rebellen hießen sie, ihre Waffen abzulegen und das Lager zu verlassen – und dann meuchelten sie die ahnungslosen Soldaten aus dem Hinterhalt.
»Justinus, stand Civilis eigentlich im Ruf, ein Verräter zu sein? Mit anderen Worten: Hätten unsere Leute Grund gehabt, auf der Hut zu sein?«
Justinus ließ sich mit der Antwort Zeit, er wollte den Bataver nicht im voraus verurteilen. »Ich glaube nicht«, sagte er schließlich. »Unsere Soldaten dachten natürlich, auf das Wort eines einstigen Kommandeurs der römischen Auxiliartruppen sei Verlaß. Civilis soll seine Verbündeten ja nach dem Massaker streng ins Gebet genommen haben.«
Wieder schwiegen wir.
»Was ist dieser Civilis für ein Mann?« fragte ich nach einer Weile.
»Hochintelligent. Unglaubliches Charisma. Höchst gefährlich! Es hat eine Zeit gegeben, da stand Gallien fast geschlossen hinter ihm, dazu etliche Stämme aus Germania Libera. Civilis war in Untergermanien praktisch der Alleinherrscher. Er selbst sieht sich als einen zweiten Hannibal – oder vielmehr Hasdrubal; auch Civilis hat ja nur ein Auge.«
Ich seufzte. »Ich suche also einen hochgewachsenen, einäugigen Fürsten mit wehender roter Mähne und unversöhnlichem Haß auf Rom. Na, wenigstens werde ich ihn auf dem Marktplatz nicht übersehen … Ob er protestiert hat, als Munius Lupercus überfallen und der Seherin Veleda zum Geschenk gemacht wurde?«
»Das glaube ich nicht. Civilis und Veleda gelten als Partner. Er hat sich immer nach ihren Weissagungen gerichtet. Und als er Petilius Cerialis’ Flaggschiff kaperte, hat er es der Seherin geschenkt.«
»Ich bin schon zu erledigt, um Sie zu fragen, wie es zu dieser blamablen Niederlage kommen konnte!« Natürlich war mir nicht neu, daß unser
Weitere Kostenlose Bücher