Eisenhand
nun wußte, was ich bei mir trug, hatte es keinen Sinn mehr, meine Lektüre zu verstecken. Also kramte ich die Tasche aus und vertiefte mich in Roms traurige Abenteuer mit Civilis. Je mehr ich über die Kampagne las, desto mulmiger wurde mir.
Viel zu rasch waren wir am Zusammenfluß von Rhenus und Mosella bei Castrum ad Confluentes vorübergeglitten, hatten Bingium und Bonna passiert (beide noch schrecklich verwüstet von den jüngsten Brandschatzungen, aber überall reckten sich neue Firststangen) und näherten uns unaufhaltsam meinem Ziel.
Colonia Claudia Ara Agrippinensium bemühte sich nach besten Kräften, ihren vollmundigen Titeln gerecht zu werden. Ursprünglich eine Gründung des Agrippa (als Ara Ubiorum), wurde die Siedlung von dessen Tochter, der energischen Frau des Germanicus, vor deren herrischem Wesen selbst die tapfersten Männer knieweich wurden, umbenannt – und zwar, wie bei einer solch dominierenden Person nicht anders zu erwarten, nach ihr selbst. Colonia war der auch von der römischen Besatzungsmacht sanktionierte Schrein der Ubier und die Provinzhauptstadt Untergermaniens. Außerdem besaß die Stadt die wichtigste römische Zollstation am Fluß und war das (von einer kleinen Feste bewachte) Standquartier der römischen Rheinflotte.
Die Stadt war klug geplant, mehr als wohlhabend, wurde von einem durch das Militär errichteten Aquädukt versorgt und beherbergte eine große Veteranenkolonie; was Wunder, daß ihre Beziehungen zu Rom sehr eng und freundschaftlich waren. Während des Aufstandes hatte sie das natürlich arg in die Zwickmühle gebracht. Anfangs hatten die Bürger treu zu Rom gestanden, Civilis die Gefolgschaft verweigert und seinen Sohn gefangengenommen – wenn auch nur in »Ehrenarrest«, für den Fall, daß das Blatt sich wenden sollte. Erst, als die Lage aussichtslos wurde, sahen sich die vorsichtigen Stadtväter gezwungen, dem Ruf ihrer Stammesgenossen zu folgen und sich zu ihrer germanischen Abstammung zu bekennen. Aber selbst dann blieb ihre Haltung zu den Freiheitskämpfern zwiespältig. Da inzwischen etliche Verwandte von Veleda und Civilis in Colonia unter Hausarrest standen, konnten sie mit den Batavern Sonderkonditionen aushandeln. Im übrigen waren sie reich genug, die große Seherin mit angemessenen Geschenken zu besänftigen. Sorgsam jonglierendes diplomatisches Taktieren bewahrte die Stadt vor Plünderungen von beiden Seiten. Sobald Petilius Cerialis wieder an Boden gewann, flehten die braven Bürger ihn um Rettung an und verbündeten sich wieder mit Rom.
Sie verstanden sich darauf, ihre Stadt in Ordnung zu halten. Ich hatte das beruhigende Gefühl, daß Helena hier sicher sein würde.
Wir kamen frühmorgens an. Ich brachte meine Begleitung in einer Pension in der Nähe der Präfektur unter und übergab die Damen samt Hund in Xanthus’ Obhut. Helena würde sich freilich bald genug daraus befreien.
Von der Schiffsreise belebt, ging ich los, um mich nach Claudia Sacrata zu erkundigen. Ich hatte Helena versprochen, nirgends anzubandeln, aber gleich die erste Tür, an der ich klopfte, war zufällig die der Freundin des Generals. Dem Diener genügte ein römisches Männergesicht als Referenz, und obwohl ich nur eine Verabredung treffen wollte, komplimentierte er mich gleich zu seiner Herrin hinein.
Es war ein bescheidenes Stadthaus, Der Provinzdekorateur hatte sich alle Mühe gegeben, dann aber doch mit den ihm bekannten Freskenmotiven vorlieb nehmen müssen: Jason entdeckte das Goldene Vlies, als er bei einem Gewitter unter einer Stechpalme Schutz suchte. Drohende Schlachtszenen tobten unter einem Fries, der nur dann zum Leben erwachte, wenn ein Schwarm rheinischer Wildgänse darüber hinflog. Venus, hier in ubischer Tracht mit hochgeschlossenem Kleid und Schleier, ließ sich von einem Mars in keltischem Filzmantel umgarnen. Sie sah aus wie ein Marktweib, und er schien ein schüchterner Kerl mit Spitzbauch zu sein.
Der Diener führte mich in ein Empfangszimmer. Hier begrüßten mich leuchtende Farben und ausladende Sofas mit prallen Kissen, auf denen ein müder Krieger sich ausstrecken und all seine Sorgen vergessen konnte. Aber die Rottöne waren zu grell, die Streifen zu breit und die Quasten viel zu dick. Der Gesamteindruck war beruhigend vulgär. Die Männer, die hierher kamen, überließen Geschmacksfragen ihren Ehefrauen und hatten selbst wahrscheinlich gar nichts übrig für Inneneinrichtungen und deren Effekte. Alles, was sie wollten, war ein sauberes,
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