Eisenherz - Förg, N: Eisenherz
diese Tage, an denen erst der Kühlschrank, dann der Trockner und dann noch die Waschmaschine verenden. Als begingen sie kollektiven Selbstmord.
Die Wissen-Sie-nicht-wer-ich-bin-Fraktion blies heute zum Generalangriff auf ihr Handy und ihre Nerven. Und natürlich war bei den Mitarbeitern durchgesickert, dass ein Ritter verletzt worden war. Jeder fragte, und sie musste sich winden und abwiegeln, und jedes Mal, wenn sie das Wort »Unfall« benutzen musste, wurde ihr übler. Der Tag schleppte sich dahin, und als sie endlich nach Stunden in Warteschleifen bei der Telekom jemanden am Ohr hatte, der in der Lage war, alle Anrufe nach Egling umzuleiten, war es früher Nachmittag.
Jo war gottfroh, als sie wieder in der Küche saß. Wo irgendeine Katze eine leicht angefressene Maus direkt auf dem Tisch platziert hatte, eine andere wohl eine Packung Milch so lange mit den spitzen Beißerchen traktiert hatte, dass wie aus einer Gießkanne feine Strahlen entwichen waren. Die Lache verströmte schon nach wenigen Stunden diesen ekelhaften Geruch nach gestockter Milch, jenen Geruch, bei dem man einen starken Magen haben sollte.
Jo seufzte. Sie war selbst schuld, sie hätte die Milchtüte bloß in den Kühlschrank stellen müssen. Den brachte nicht mal Bianchi auf, die sonst jede Schublade und jeden Schrank öffnen konnte und dann den Inhalt rausrupfte und verteilte. Momentan war keine Katze zu sehen, wie auch: Es roch wahrlich etwas streng.
Jo schaltet das Radio ein und starrte in die Luft. »Abenteuerland« von Pur, okay, hier in einer fremden Küche ohne Zuhörer und Zuseher konnte man mitsingen. Und schwelgen. Sonst hätte sie niemals zugegeben, dass sie Hartmut Engler gut fand, das tat man einfach nicht. Aber Abenteuerland war eine Hymne, und Engler eigentlich – heute mit Kurzhaarschnitt – trotz seines Dialekts ein netter Kerl. Aber das gab man natürlich auch nicht zu! Falco, den durfte man cool finden. Noch eine Hymne, »Out of the Dark«, und bei der Zeile »Muss ich denn sterben, um zu leben« zuckte Jo zusammen. Hatte der es nicht richtig gemacht? Sich mit knapp über vierzig in der Dominikanischen Republik unter karibischen Palmen totzufahren, weiterzuleben in seinen Liedern, den Verfall nicht mehr erleben zu müssen. Jo war einmal auf dem Wiener Zentralfriedhof gewesen, am Grab von Falco, vulgo Hansi Hölzl, ein oberkitschiges Grab mit einer Plexiglasscheibe. Provozierend noch im Tod. Himmel, was machte sie sich bloß für Gedanken, sie die Optimistin, die zwar gerne mal zynisch wurde, aber im Prinzip ein Stehaufmännchen war. Sie fühlte sich müde und hasste sich dafür. Sie hatte einen super Job ergattert, den viele gerne gehabt hätten. So what?
Jo begann die Milch aufzuwischen, während das Radioprogramm wohl angetreten war, ihre Seele zu malträtieren. Nun lief auch noch City mit »Am Fenster«. Eines von Gerhards Lieblingsliedern.
Es war sinnlos, es zu leugnen. Den ganzen Tag schon dachte sie an Gerhard, der nun mal der Einzige war, den sie wegen »des Unfalls« kontaktieren konnte. Es war zum Kotzen. Nicht bloß wegen der Milch. Sie musste es tun. Sie musste. Gegen dreiundzwanzig Uhr hielt sie es nicht mehr aus. Also drückte sie die Taste am Handy. Ihr Herz raste, tobte, donnerte gegen den Brustkorb. So als wollte es heraus aus dieser Enge.
»Weinzirl!«
Er klang sehr verschlafen. Sie schluckte.
»Gerhard, da ist Jo. Hast du schon geschlafen?«
»Jo?«
»Ja, ich weiß, es ist eine Weile her, aber ich muss dich unbedingt sprechen. Bitte.«
Es war dieses Bitte, das Gerhard erweichte. Jo sagte sehr selten bitte. Also hörte er zu. Erfuhr von einem angeblichen Mordanschlag, von Rittern, davon, dass Jo in Kaltenberg arbeitete. Er brauchte eine Weile, bis er begriff, was Jo von ihm wollte, dass er kommen sollte und ermitteln.
»Jo, das ist nicht mein Zuständigkeitsbereich. Das darf ich gar nicht. Da ist Fürstenfeldbruck zuständig.«
Jo schilderte ihm den Auftritt der beiden Polizisten. »Die haben das den Fürstenfeldbruckern gar nicht gemeldet.«
Es war jetzt müßig, Jo genaue Abläufe der Polizeiarbeit zu erklären. Es war auch müßig, sich zu wehren. Wie immer: Sie hatte ihn. »Ich komme morgen gegen Mittag. In etwa. Ich habe hier einen ziemlich schwierigen Fall. Aber ich komm. Wo finde ich dich?«
»Ruf mich kurz an, wenn du da bist. Hast du meine Nummer noch?«
Na toll, das hätte sie sich schenken können. Eigentlich hatte sie eine neutrale Frage gestellt, ob er die Nummer noch hätte.
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